Die Geliebte des Piraten
ihm zu. Er wandte sich abrupt um. Wie eine anmutige Blume saß sie mittschiffs auf einem Stapel von Tauen, um sich herum ein Publikum ihr hingerissen Aufmerksamkeit zollender Piraten. Der Anblick der rauen Männer, die jedem ihrer Worte lauschten, entlockte Raiden ein kleines Lächeln. Einer der Männer brachte Willa einen Becher mit Wein, und einen Schritt hinter ihr stand Nealy Perth wie ein Zerberus und wandte keinen Blick von ihr. Augenblicklich war Raiden auf der Hut. Mochte der große, kräftige Mann auch schon älter sein, so behauptete er doch seinen Platz unter den durchweg jüngeren Kameraden. Eine Windbö fuhr in die Segel, und Raiden schaute hinauf zu Tristan, der in die Takelung geklettert war und die Seile richtete, während er sich mit der Frau unterhielt, die unter ihm auf dem Deck saß.
Den Kopf leicht geneigt, schaute Willa zu Tristan hinauf und lachte über etwas, das er sagte. Ein messerscharfer Stich noch nie gekannter Eifersucht durchfuhr Raiden. »Mr Dysart!«
Tristan fuhr herum.
»Tu entweder deine Arbeit oder komm verdammt noch mal runter.« Schwarze Wolken zogen heran und breiteten sich wie eine dunkle Decke über den Himmel aus. »Mistress, in die Kabine!«
Willa drehte sich nach Raiden um und sah ihn aus schmalen Augen an, doch sein Gesichtsausdruck warnte sie davor, ihm zu widersprechen. Sie nickte unmerklich und erhob sich und verabschiedete sich mit einem Knicks von den Männern. Raiden gab Befehl, die Fässer und Tonnen zu sichern. Als er auf Willa zuging, krachte ein Blitz aus den Wolken und schnitt eine gezackte Spur in den Himmel.
Die Renegade bekam Schlagseite. Willa verlor den Halt und rutschte gegen die Reling. Der harte Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen. Sie versuchte sich festzuhalten, als das Schiff sich erneut zur Seite neigte.
Ein ungesichertes Fass rollte über das Deck auf Willa zu, traf sie in die Kniekehlen und prallte gegen ihren Rücken. Das Gewicht des Fasses schleuderte Willa nach vorn. Raiden sah, wie sie vom Deck rutschte. Er stieß die Männer aus dem Weg, sprang über Seile und Fässer, um Willa noch rechtzeitig packen zu können. In diesem Augenblick fiel sie kopfüber in die schwarze See.
8
Ein unerwarteter heftiger Ruck riss Willa zurück und bewahrte sie vor dem Sturz in die schwarze Tiefe.
Sie holte tief Luft und blinzelte in das Gesicht Nealy Perths, der den Arm um ihre Taille geschlungen hatte und sie an ihrem Kleid festhielt. »Meinen tiefsten Dank, Sir.«
»Dafür nicht, Mylady«, wehrte er ab und stellte sie auf die Füße.
Raiden war sofort bei ihr, packte sie am Arm und zog sie von Perth fort. »Seid Ihr verrückt?« Noch immer saß ihm der Schreck in den Gliedern, sah er Willa kopfüber in das von Haien wimmelnde Wasser stürzen.
»Aber ja, Raiden, ich gebe Euch ein Versprechen, und dann, in einem Anfall von Verzweiflung, vergesse ich meinen Sohn und stürze mich ins Meer.« Sie zerrte sich von Raiden los und bemerkte nicht, das Perth ihrem Wortwechsel interessiert lauschte. »Ihr könnt mir durchaus ein bisschen Rückgrat zutrauen, Pirat.« Hocherhobenen Hauptes stolzierte sie davon. Raiden stieß einen langen Atemzug aus, während er sich den Nacken rieb. Sie wird nie wieder ohne meine Erlaubnis das Deck betreten, entschied er. Sein Herz klopfte noch immer hart und schnell.
»Temperamentvolles Mädchen«, bemerkte Perth.
Raiden streifte ihn mit einem kurzen Blick. »Meinen Dank, Mr Perth.«
Der Seemann nickte, eine Geste, die, wie Raiden unwillkürlich feststellte, irgendwie königlich und huldvoll wirkte. »War mein Glück, dass ich so nah dran war, Cap’n.«
»Das war ihr Glück«, sagte Raiden. »Sichert das Fass, Mr Perth.«
»Raiden!« Er wandte sich um und schaute nach oben in die Takelage, zu der Willa wies.
Tristan Dysart hing kopfüber in einem der Seile fest, das sich ihm um den Knöchel gewickelt hatte. Der starke Wind zerrte an ihm und ließ ihn immer wieder gegen den Mast prallen. Laut Tristans Namen rufend, lief Willa los. Während Raiden ihr auf den Fersen folgte, befahl er, ihm einen Enterhaken und ein Seil zu bringen.
»Hallo, Mädchen«, sagte Tristan, sein Gesicht war hochrot angelaufen.
Willa reckte den Hals. »Du lieber Gott, Mr Dysart. Ihr blutet ja!« Sein Mantel hatte sich über der Hemdbrust geöffnet, die sich dunkel von Blut gefärbt hatte.
»Es sieht ganz so aus. Eine alte Wunde. Beunruhigt Euch nicht.« Er winkte ab und versuchte, sich hochzuschwingen und das Seil zu packen, an dem er
Weitere Kostenlose Bücher