Die Geliebte des Piraten
ehe sie es zusammenschob, um es in ihrem Retikül zu verstauen. Doch dann änderte sie ihre Meinung und ließ die Waffe unauffällig in ihr Mieder zwischen ihre Brüste gleiten.
Als sie aufschaute, starrte Raiden sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an.
»Was ist?«
»Es gibt noch viel über Euch zu wissen, Willa Delaney.«
»Ja, ich bin ja auch ein so faszinierendes Wesen«, entgegnete sie trocken.
Er schüttelte den Kopf und bot ihr seinen Arm, doch sie waren kaum ein paar Schritte gegangen, als Jabari bei ihnen auftauchte. Er sprach mit Raiden in einer Sprache, die Willa nicht verstand, und sie musste sich zwingen, den Jungen nicht anzuherrschen, Englisch zu sprechen. Aber Raiden zog den Jungen zur Seite und unterhielt sich mit ihm in dessen Muttersprache. Und das beunruhigte Willa.
»Was ist? Was hat er herausgefunden?«
Raiden hieß sie mit einer Geste schweigen und sprach wieder mit Jabari. Als er den Jungen fortschickte, folgte Willas Blick dem Jungen für einige Sekunden. Als sie Raiden fragend ansah, nahm er sie bei der Hand und führte sie rasch zur Kutsche.
»Raiden!«
»Erst einsteigen.«
In der Abgeschiedenheit der Kutsche rang Willa nervös die Hände, obwohl sie am liebsten mit den Fäusten gegen die Rückenlehnen geschlagen und verlangt hätte, dass Raiden ihr sagte, was er herausgefunden hatte. Die Kutsche rollte an und fuhr die Straße hinunter. Raiden schwieg noch immer.
»Raiden«, keuchte sie. »Bitte, ich werde sonst verrückt.«
Er schaute auf. In ihren angstgeweiteten Augen standen Tränen. »Wie alt ist Mason?«
»Erst vier.«
Allmächtiger Gott, fast noch ein Baby! Raiden dachte daran, wie ängstlich und allein das Kind sich fühlen musste.
»Beschreibt ihn.«
Sie tat es mit liebevollen Einzelheiten.
»Trägt er ein besonderes Mal, hat er Sommersprossen, irgendetwas, woran man ihn identifizieren könnte?«
Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Identifizieren? O Gott, hat man eine Leiche gefunden?« Willa zitterte und presste die Hand vor den Mund. Augenblicklich setzte Raiden sich neben sie und nahm ihre Hände.
»Pst«, beruhigte er sie. »Darüber wissen wir bis jetzt noch gar nichts.«
»Dann sagt mir endlich, was Ihr wisst.«
»Man hat ein Kind zum Arzt gebracht. Ein weißes Kind. Es gibt hier zu wenige, um das nicht mitzubekommen.«
Sie nickte und schaute ihn an. Raiden zog sich das Herz zusammen, als er sah, wie sie gegen die Tränen ankämpfte. »Nicht, Mädchen, nicht weinen.« Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und sah ihr in die Augen. »Jetzt sagt mir … trägt er ein Mal, an dem man ihn erkennen kann?«
»Ja.« Sie schniefte leise. »Eine sichelförmige Narbe.« Sanft berührte sie Raidens Kinn. »Ähnlich wie Eure, aber nicht so tief. Sie ist auf seinem rechten Rein, über dem Knöchel. Er hat sich verletzt, als er beim Versteckspielen mit mir in ein Brombeergebüsch geraten ist.«
Raiden versuchte, sich dieses Bild vorzustellen: Eine über das ganze Gesicht strahlende Willa, die mit geschürzten Röcken und fröhlich lachend einem Kind hinterherlief und mit ihm Fangen spielte. Liebten alle Mütter so bedingungslos? »Das wird uns helfen«, sagte er schließlich und zog Willa in seine Arme, als die Kutsche unsanft schwankte. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, ihre Hände umklammerten seine Arme, als sie versuchte, ihrer Angst Herr zu werden. Raiden betete darum, dass der Junge noch lebte, denn er wusste nicht, wie Willa es verkraften würde, sollten die bisherigen Informationen Masons Tod bestätigten. Er könnte es nicht ertragen, das Leid mit anzusehen, von dem er wusste, dass es Willa zerstören würde.
Das Donnern von Hufschlag ließ sie auffahren. Neben der Kutsche tauchten mehrere Reiter auf. Willa, Vazeen, Sanjeev und Nealy Perth. »Glaubt Ihr, wir sind in Gefahr?«
»Das Risiko besteht immer«, erwiderte Raiden und beugte sich aus dem Fenster, um mit den Männern zu sprechen. Kurz darauf ritten diese weiter. Die Kutschfahrt dauerte fast noch eine halbe Stunde, ehe sie vor einem kleinen, bescheidenen Haus hielten, das seinem Aussehen nach auch in England hätte stehen können.
Willa wollte den Schlag öffnen, doch Raiden hielt ihre Hand fest und hinderte sie daran. »Ich will aussteigen!«
»Nein, Ihr bleibt hier. Vergesst nicht, dass man versucht hat, Euch zu töten. Und dass man damit vielleicht erreichen wollte, Euch von Eurem Sohn fern zu halten.«
Sie blinzelte. Seine Bemerkung verriet ihr, dass er gründlich und oft über das
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