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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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sollten die ebenfalls zuhören.
    Sie hatten ihm ihre Noten angeboten – neben Gospel natürlich Märsche, aber der Soldat hatte sich schon aufgebaut, prüfte die Ventile, setzte die Trompete einige Male an, schloss die Augen und spielte einfach drauflos. Er spielte, was ihm in den Sinn kam, und im Sinn hatte er meistens Dinge, die sehr weit weg oder unerreichbar waren. Also spielte er zunächst einmal
Summertime
von George Gershwin und dann
You Made Me Love You
. Zwischendurch riskierte er einen Blick auf die Männer, die alle so viel älter waren als er. Sie beobachteten ihn mit einer ähnlichen Aufmerksamkeit wie seine Eltern daheim, wenn er spielte und sie sich gerade nicht zerfleischten.
    Manchmal hatten Mum und Dad an solchen glücklichen Tagen im Türrahmen gelehnt, einträchtig wie sonst nie, und hatten ihm zugehört, und ähnlich liebevoll, so schien es ihm, ruhten nun die Blicke dieser sechsundfünfzig Fremden auf ihm – sechsundfünfzig Väter und Mütter. Dem Jungen kamen die Tränen, die Sechsundfünfzig verschwammen vor seinen Augen und das machte, dass er nun mit der Musik allein war, allein in einem seltsam flirrenden, gläsernen Raum, und für eine kleine Weile spielte er, was noch keiner kannte, was er selbst fand in diesem wässrigen, durchsichtigen Raum. Dann klärte sich sein Blick wieder, und er kehrte zurück zu Bekanntem. Er dachte an all die alten Songs. Er dachte an seine |42| Kindheit, die plötzlich so weit weg erschien. Er dachte daran, wie er zu Hause in Oklahoma Radio gehört hatte: Margret Whiting mit ihrem verführerischen
That Old Black Magic
und das Trompetensolo von Harry James aus dem
Two O’Clock Rock
und wie er versucht hatte, mit den Songs mitzuspielen. Wie er versucht hatte, Mum und Dad nach oben zu locken in sein Zimmer, mit Tönen, die immer noch weicher und noch sanfter klangen als die, die er gestern beherrscht hatte und vorgestern.
    Die Trompete vibrierte auf seinen Lippen. Die Trompete verschmolz mit seinen Lippen. Dann war der Song zu Ende. Um ihn herum Applaus und Schulterklopfen und: Willkommen, Kleiner!, sagte einer. Sagten dann alle und wunderten sich, dass ein so junger Kerl solche alten Klamotten spielte: Harry James’ Songs waren um 1915 herausgekommen, vor gut dreißig Jahren. Glückwunsch!, sagte einer hinter ihm. Das war der Bandleader. Der dachte: In all den Jahren habe ich noch kein solches Talent erlebt. Aber auch keinen naiveren Provinzler! Das sagte er natürlich nicht. Sondern gab dem Neuen gleich das Notenbuch der Band mit, damit er sich einspielen und üben könnte.
    Üben? Davon verstand der Junge nichts. Früh schon hatte er es aufgegeben, zu seinen Musikstunden zu gehen; er hatte nicht eingesehen, wozu er all die unterschiedlichen Schnörkel und Striche und umgedrehten Buchstaben auswendig lernen sollte – wenn er doch jede Melodie nachspielen konnte, wenn er sie ein- oder zweimal gehört hatte. Er besaß die Ohren einer Fledermaus und das Gedächtnis eines Elefanten. Was er einmal gehört hatte, vergaß er nicht wieder. Er improvisierte. Er hörte zu. Er mogelte sich durch. Und so hielt er es auch hier. Und das Verrückte war, dass ausgerechnet er, das Greenhorn, der Zuletztgekommene, der das letzte freie Pult der Trompeter ergatterte, die vier anderen bald an die Wand |43| spielte. Und die Posaunisten und Saxofonisten genauso. Dabei lag ihm gar nicht daran. Im Gegenteil: Er langweilte sich, wenn es um die Wette ging. Gewinnen war ihm gleichgültig. Und auch die anfängliche Begeisterung für die Band legte sich bald. Es war alles so einfach. Es war alles vorhersehbar. Und: Es war ja nicht einmal recht ersichtlich, wozu diese Band überhaupt gut war!
    Ihre vornehmste Aufgabe bestand darin, Staatsgäste am Flughafen Tempelhof zu begrüßen, die Senatoren und Abgeordneten musikalisch in Empfang zu nehmen. Nur waren die meisten dieser Staatsgäste so beschäftigt, dass sie die Band überhaupt nicht bemerkten oder höchstens einen flüchtigen Blick auf sie warfen. Und dafür hatten sie sich anderthalb Stunden vom Hauptquartier nach Tempelhof durch die Kälte chauffieren lassen, auf offenen Armeelastwagen, die erbärmlich schaukelten und kein bisschen Schutz vor dem Frost boten, so dass der Junge jedes Mal eine schreckliche Angst um seine Trompete ausstand.
    Manchmal war es so kalt, dass sie gar nicht spielen konnten. Dann hatten sie vergeblich ausgeharrt, Stunde um Stunde, siebenundfünfzig Musiker ordentlich angetreten, in Galauniform, die Mäntel

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