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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Kunststoff war noch nicht zu denken – eroberten die Jugendlichen die Wellen. Es war nur etwas für die sehr Jungen und sehr Mutigen, denn die ersten
Boards
waren bessere |150| Bodenbretter – schwer, sperrig und aus Material, das leicht splitterte, aber das Fieber griff schnell um sich. Das war cooler als Schwimmen und aufregender als Segeln. Man war Teil des Wassers und doch wieder nicht. Man nutzte seinen Auftrieb und die enorme Kraft der Pazifikwellen. Erste Wettbewerbe wurden ausgetragen, und erste Stars der noch jungen Szene machten sich bemerkbar: Die Amerikaner lernten den schwierigen Namen Duke Paoa Kahanamoku, und Duke, wie der Haiwaiianer genannt wurde, verbreitete nicht nur die Botschaft von der Schönheit seiner Heimat, sondern auch den Reiz des Surfens bis nach Australien. Chets Idol aber war Tom Blake, ein ungewöhnlich attraktiver Surfer, von dem es in den dreißiger Jahren etliche Aufnahmen in ungewöhnlichen Posen gab: Tom in weißer Matrosenhose und Ringelshirt, das seine perfekten Muskeln zeigte. Tom mit melancholischem Blick auf die Wellen des Pazifiks, als ob er darauf wartete, dass ein Schiff zurückkehrte, das ihn hier ausgesetzt hat. Tom, wie hingegossen auf ein paar Felsen, die vollkommen geformten Beine lasziv gespreizt. Tom, der Wellenreiter, war rasch so berühmt geworden, dass es auf den Bildern keines Boards mehr bedurfte. Für die Menschen an der Westküste verkörperte Tom das Wellenreiten, er
war
das Wellenreiten. Chet hatte noch nie erlebt, dass das, was ein Mensch tat, derart vollkommen mit seiner Erscheinung harmonierte. Tom Blake war für Chet ein Vorbild, er war hingerissen von dieser Mischung aus Anmut und Stärke. Ein Zeitungsausschnitt mit dem Abbild Tom Blakes begleitete ihn von da an überallhin. Chet liebte Idole. Und er konnte sich hingeben. Zwar war er selbst mager, blass und nicht besonders groß – aber er wurde, wie die Leute in Kalifornien das nannten, ein
Wassermann.
Seine Gliedmaßen streckten sich. Sein Nacken wurde sehnig. Die Hände lernten, fester zu greifen. Der Vierzehn-, Fünfzehnjährige riskierte viel, um seinem Idol ähnlicher zu werden, |151| aber nie passierte etwas. Er wurde nicht nur ein hervorragender Schwimmer und Surfer, auch beim Segeln machte ihm so schnell keiner etwas vor.
    Renate starrte noch immer auf die Fotos. Manchmal meine ich, die leben auf einem anderen Stern! Wo waren wir bloß die ganze Zeit über? Sie drehte die Fotos um, als fände sie auf der Rückseite eine Erklärung.
    Ricky verstand, was sie meinte. Ihr ging es genauso. Noch nie hatten sie etwas von diesem neuen Sport mit dem imposanten Requisit gehört. Aber es ging nicht nur um Sport. Sie hatten von so vielem nicht gehört. Wo waren sie gewesen? Was war geschehen? Waren sie aus der Welt gefallen? Während die Deutschen erst Mord und Brand über ihre Nachbarn gebracht und dann erschrocken die Köpfe eingezogen hatten, hatte sich die Welt einfach weiterentwickelt. Menschen bestiegen Boards und surften über die Wogen des Ozeans. Es war nicht zu fassen. Tonband und EEG waren erfunden worden. General Electric produzierte seit 1938 serienweise Leuchtstoffröhren, die die Welt in ein kaltes Fabriklicht tauchten. Sie sahen es in den Wochenschauen. Die Quarzuhr, die der Amerikaner Warren Melvin Marrison 1929 entwickelt hatte, zeigte die Zeit mit gnadenloser Genauigkeit an, während der erste automatische Toaster ein Jahr später bei den amerikanischen Arbeitern auf dem Frühstückstisch stand. Es waren kleine Erfindungen, die die Welt schneller und praktischer machten, wie Nylon, Sprühdose, Fotokopierer. Und während die Deutschen Hubschrauber bauten und an der Perfektion der V2 arbeiteten, erfand die Welt – den Kugelschreiber. Und zehn Jahre später den Klettverschluss. Die Welt, in der Ricky und Renate und mit ihnen zweieinhalb Millionen verstörter Berliner im Sommer 1945 aufwachten, war nüchterner geworden, pragmatischer, während sie selbst die Nazi-Parolen noch in den Ohren hatten, die Aufforderung, bis zum letzten |152| Tropfen Blut für den
Endsieg
zu kämpfen, die Hetze und die Kontrolle, dazu das Pfeifen der Bomben und den Donner der feindlichen Artillerie.
    Was für ein Leben!, sagte Renate.
    Gar kein Leben!, sagte Ricky.
    Hier passiert gar nichts mehr, sagte Renate.
    Gar nichts.
    Nach der Kapitulation war es schlagartig still geworden in Deutschland, die Leute bewegten sich leise, huschend, die Kriegsheimkehrer kehrten wie auf Socken aus den Ländern zurück, in

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