Die Geliebte des Trompeters
wenig vor sich hin. Moni, gegen die Knie von Dick gestützt, mit einem Gesicht so friedlich wie das eines Kindes. Der Zwist aus dem Jazzclub war offenbar vergessen. Dick mit der üblichen gleichgültigen Miene, der mit einer Hand das Gras auszupfte. Chet, der auf dem Rücken lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Plötzlich begann er zu singen. Ganz leise zuerst, dann immer deutlicher. Ricky war überrascht. Das war Chets Singstimme? Die Stimme war weich und melodiös, sie hatte etwas Verführerisches – aber er klang wie ein Mädchen. Ricky schloss die Augen: Kein Zweifel, da sang eine etwas laszive, aber warmherzige Frau! Sie machte die Augen wieder auf: Da war ihr
boyfried
, dünn und mager ihr Mann,
my man
.
Versteh einer die Kerle!, sagte Moni. Dick schlug nach ihr.
Lange hielten sie so viel Untätigkeit nicht aus. Moni wurde unruhig und wollte nach Hause, und Dick, nach einem Blick auf die Uhr, verabschiedete sie lässig mit der Handbewegung eines Bürovorstehers, der dem Tippfräulein frei gibt.
See you!
Wieder war Moni beleidigt. Langsam entwickelte sie einige Übung darin.
Kaum war sie verschwunden, kramte Dick eine Ausgabe von
Stars and Stripes
hervor und nahm sich die Rätselseite vor. Chet und Ricky hielt es nicht auf der Decke. Sie standen auf und begannen, Steine ins Wasser zu werfen, und da war sie es, die ihm etwas beibringen konnte: Die flachsten Strandkiesel ausgesucht, sich tief gebückt und dann scharf über die kleinen Wellen geworfen, dass sie vier-, fünfmal auftitschten. Chet stellte sich reichlich ungeschickt an. Seine Steine plumpsten einfach ins Wasser. Sie machten Zielwerfen, auf ein paar Stangen, die ein längst nutzlos gewordenes Fischernetz |148| markierten. Es gab ein metallisches Geräusch, wenn sie trafen.
Doch da, plötzlich – gerade war ein Kiesel von der Stange abgeprallt – schrie Chet auf, krümmte sich, hielt sich das Gesicht, fiel auf die Knie. Ricky war sofort bei ihm, versuchte, die Hände wegzuziehen, er stieß sie mit dem Oberkörper beiseite, aber dann zeigte er ihr, was passiert war: Der Stein, der zuletzt die Stange getroffen hatte, war zurückgeprallt und hatte ihn im Gesicht getroffen. Ein Vorderzahn fehlte. Eine Lücke klaffte.
Ricky fiel in ihrer Aufregung nicht auf, dass Chet gar nicht blutete und die Lücke ganz und gar sauber war. Sie war zu erschrocken. Sie glaubte, dass sie schuld sei. Und führte den scheinbar Benommenen zurück Dick. Aber der grinste nur und kümmerte sich nicht weiter. Sturer Kerl!, dachte Ricky verärgert. Und merkte nicht, dass Chet mühsam ein Lachen unterdrückte: Die Zahnlücke hatte er ja schon immer. Seit er denken konnte. Seit ihn tatsächlich einmal ein von einer Laterne abprallender Stein erwischt hatte. Da war er sechs. Er wusste selbst nicht, wie er auf die Idee gekommen war, Ricky so hinters Licht zu führen. Vielleicht war es das metallische Geräusch des Steins auf der Stange. Vielleicht war es die Lust, ihr etwas vorauszuhaben – und sei es eine Täuschung.
Und außerdem war es eine Vorstellung, die ihm gefiel: Dass Ricky ihn getroffen hätte. Es gefiel ihm, dass sich Ricky mit der Verletzung in Verbindung brachte. Dass sie ihn trösten musste. Nichts hielt Menschen enger beieinander als die Verletzungen, die sie sich zufügten. Bereitwillig öffnete er an diesem Abend die Lippen, als Ricky ihn zärtlich und besorgt küsste.
Und so war es Chet, der mit dem Betrügen begann.
|149| III. Abschied
Ich glaube dir kein Wort!, sagte Renate. So was gibt’s gar nicht. Dabei hatte sie die Fotos vor der Nase. Unscharfe Schwarz-Weiß-Fotos zwar, mit einem gezackten Rand, aber immerhin, das Wichtigste sah man. Das Wichtigste war ein Junge, der mitten im Meer – stand. Ja, er stand. Der amerikanische neue Jesus stand auf einer Welle. Er stand gebeugt, die Arme ausgebreitet, und er stand auf einem Brett. Auf diese Weise ließ er sich von der Welle tragen. Alles an dem Jungen war Spannung, Aufmerksamkeit, Wachheit.
Unglaublich!, sagte Renate.
Surfing
, sagte Ricky.
Wellenreiten.
Chet hatte ihr das Wort beigebracht und die Fotos gezeigt. Die Wörter und Sätze, die er sie lehrte, hätten kaum dazu gereicht, in einer amerikanischen Kleinstadt zurechtzukommen, aber es waren Wörter und Sätze, die Ricky gefielen:
Waterfall. Rocking. Hitch-hiking.
Dance. Dream. Loverboy.
Und eben:
Surfing
.
Das Wellenreiten auf einem Brett war in Kalifornien schon in den zwanziger Jahren in Mode gekommen. Auf Holzplanken – an
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