Die Geliebte des Zeitreisenden
einen düsteren Blick zu. »Ich will nicht für sinnlose Tode verantwortlich sein.«
Cael spürte, wie Lucans innere Spannung stieg, und sie befürchtete schon, er könne explodieren. Doch stattdessen drückte er die Hand gegen ihr Kreuz und schob sie von den streitenden Projektleitern fort.
Lucan berührte sie. Absurderweise wollte sie sich noch enger an ihn lehnen und musste sich in Erinnerung rufen, dass er für diese Geste sein Leben verlieren konnte.
Cael warf einen Blick über die Schulter und versuchte herauszufinden, ob irgendjemand es bemerkt hatte. Zum Glück war das Licht im Raum gedämpft, und alle Blicke richteten sich auf Avalon; niemand beachtete Cael und Lucan. Außer Rion. Am Rande ihres Blickfeldes glaubte sie zu sehen, wie er sie anstarrte. Aber als sie sich zu ihm umdrehte, sah er wieder weg.
Lucans warme und feste Berührung trieb ein Prickeln bis in ihren Bauch hinein. Als sie das letzte Mal jemanden berührt hatte, war sie fünf Jahre alt gewesen. Bis zu ihrem fünften Geburtstag hatten sich ihre Eltern an das Gesetz gehalten und sie genauso behandelt wie ihre Schwestern. Sie war in den Arm genommen und berührt und geliebt worden, als wäre sie ein gewöhnliches kleines Mädchen. Doch sobald sie das Alter erreicht hatte, in dem sie das Drachenwandeln betreiben konnte, musste sie getrennt von ihren Schwestern und Eltern leben. Die Ältesten übernahmen ihre Erziehung und unterrichteten sie über ihr Drachenblut. Dieses Blut verlieh ihr mehr Kraft, als gewöhnliche Menschen sie besaßen. Dieses Blut erschwerte es aber auch, ihr Temperament zu zügeln, und es ermöglichte ihr, mit Drachenfeuer zu töten. Zu ihrem eigenen Schutz war es den Angehörigen ihres Volkes verboten, ihr zu widersprechen oder in ihre Zuflucht einzudringen.
Oder sie gar zu berühren.
Cael wollte aber nicht anders sein. Sie wollte auch nicht gefürchtet sein. Oder verehrt werden.
Natürlich spielte es keine Rolle, was sie wollte. Sie war eine Hohepriesterin und damit heilig. Sie war dazu bestimmt, allein durchs Leben zu gehen. Dies war ihr Schicksal.
Um Lucans willen sollte sie sich besser von der Wärme seiner Hand zurückziehen. Aber sie konnte die Willenskraft nicht aufbringen, die dazu nötig war, zur Seite zu treten. Besonders nicht, nachdem sie gemeinsam den Ausgang hinter sich gelassen hatten und ins Foyer getreten waren, wo sich niemand aufhielt, der diese Verletzung des Protokolls hätte bemerken können. Sie war erstaunt darüber, dass sich eine so einfache Berührung, eine so gewöhnliche Verbindung zwischen zwei Menschen derart außergewöhnlich anfühlen konnte.
Bei der Göttin, wie gut fühlte er sich an!
Das Blut brandete viel zu schnell durch ihren Körper. Sie vermochte kaum genug Lu ft in die Lunge zu saugen, und es fiel ihr schwer, trotz ihrer Atemlosigkeit zu fragen: »Wohin gehen wir?«
»Nach draußen.« Er ließ die Hand sinken und schritt zur Tür. »Auf Avalon zu.«
»Aber Quentin hat gesagt, wir sollen nicht...«
»Er hat nicht gesagt, dass wir keinen Blick darauf werfen dürfen.« Seine Stimme klang heiser, rau und verschwörerisch.
Ihr ganzes Leben hindurch hatte Cael das getan, was die Leute von ihr verlangt hatten. Sie hatte die Regeln befolgt, die lange vor ihrer Geburt aufgestellt worden waren.
Als Lucan nun nach draußen trat, folgte sie ihm. Sofort spürte sie eine Veränderung in der Luft. Vor drei Jahrzehnten hatte ein Dragonier ein System zur Luftsäuberung erfunden, das ein wenig von der Verschmutzung aus dem Himmel gewaschen hatte. Doch die Fabriken hatten ihre Produktion erhöht, und die Säuberungsmaschinen schienen nie damit Schritt halten zu können. Oft verursachte die Verschmutzung Nebel in den Städten, die Luft schmeckte bitter. Aber heute war der Wind frisch und die Luft wirkte beinahe sauber.
»Komm.« Lucan nahm sie bei der Hand und schlang seine Finger um die ihren. Sie passte sich seiner Geschwindigkeit an und lief an seiner Seite auf den Obelisken zu.
Lucan blieb vor Avalons verschüttetem Eingang stehen. Die uralte Bronzetür stellte eine große Verlockung dar. Ohne den Schild, der sie bisher blockiert hatte, wirkte sie noch massiver und gleichzeitig phosphoreszierend. Caels Puls raste vor Aufregung.
Sie legte die Hand auf die Tür, die sich kühl und glatt anfühlte. Ein leichtes Prickeln überlief ihren Arm - zweifellos war das aber nur Einbildung. Sie ergriff die uralte Klinke. Würde sich die Tür öffnen, wenn sie daran zog?
»Nicht.« Lucan zerrte
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