Die Geliehene Zeit
wenn wir über die Wunder der Schwangerschaft plauderten. Trotz ihrer Flatterhaftigkeit mochte ich sie; aber ich war auch erleichtert, wenn ich mich
durch meine nachmittäglichen Besuche im Hôpital des Anges ihrer Gegenwart entziehen konnte.
Auch wenn Louise wohl kaum je einen Fuß über die Schwelle des Spitals setzen würde, war ich dort nicht ohne Gesellschaft. Ungeachtet ihres ersten Eindrucks hatte Mary Hawkins den Mut aufgebracht, mich nochmals dorthin zu begleiten. Und nun kam sie immer häufiger mit. Den direkten Anblick von Wunden konnte sie zwar noch nicht ertragen, machte sich aber beim Füttern der Patienten und beim Bodenschrubben nützlich. Diese Tätigkeiten bildeten anscheinend eine willkommene Abwechslung zu den höfischen Zusammenkünften und zu dem Leben im Haus ihres Onkels.
Während sie häufig von bestimmten Verhaltensweisen, die sie bei Hofe sah, schockiert war - nicht, daß sie tatsächlich viel davon gesehen hätte, aber sie war leicht zu schockieren -, äußerte sie sich über den Vicomte de Marigny nie mit sonderlichem Abscheu oder Entsetzen. Daraus schloß ich, daß ihre niederträchtige Familie die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen hatte - und ihr deshalb auch nichts von ihrer bevorstehenden Heirat gesagt hatte.
Meine Vermutung wurde bestätigt, als wir einmal Ende April auf dem Weg zum Spital waren und Mary mir errötend anvertraute, daß sie verliebt sei.
»Ach, wie gut er aussieht!« schwärmte sie und vergaß dabei sogar zu stottern. »Und auch so... ja, so vergeistigt .«
»Vergeistigt?« sagte ich. »Hm, ja, schön.« Insgeheim dachte ich, daß ich diese Eigenschaft nicht gerade zu den wichtigsten Attributen eines Traummannes zählen würde. Aber die Geschmäcker sind nun einmal verschieden.
»Und wer ist der auserwählte Herr?« neckte ich sie freundschaftlich. »Jemand, den ich kenne?«
Sie errötete noch mehr. »Nein, das glaube ich nicht.« Dann sah sie mich mit leuchtenden Augen an. »Ach, ich dürfte Ihnen das eigentlich nicht erzählen, aber ich kann nicht anders. Er hat meinem Vater geschrieben, daß er nächste Woche nach Paris zurückkehrt!«
»Tatsächlich?« Das war eine interessante Neuigkeit. »Ich habe gehört, daß der Comte de Palles nächste Woche bei Hofe erwartet wird. Gehört ihr, äh, Zukünftiger zu dessen Gefolge?«
Mary starrte mich entgeistert an.
»Ein Franzose? Aber nein, Claire! Ich würde doch nie einen Franzosen heiraten!«
»Was haben Sie denn gegen die Franzosen?« fragte ich, höchst erstaunt über ihre Heftigkeit. »Sie sprechen doch auch Französisch.« Aber vielleicht lag das Problem gerade darin; Mary sprach zwar ganz gut Französisch, war aber so schüchtern, daß sie in dieser Sprache noch mehr stotterte als im Englischen. Tags zuvor hatte ich ein paar Küchenjungen beobachtet, die sich ein grausames Vergnügen daraus machten, » la petite Anglaise maladroite « nachzuäffen.
»Kennen Sie die Franzosen denn nicht?« flüsterte sie, die Augen entsetzt aufgerissen. »Ach nein, natürlich nicht. Ihr Mann ist ja so nett und so freundlich... er würde, - ich meine, er w-würde Sie nicht so b-belästigen...« Ihr Gesicht war vom Kinn bis zum Haaransatz von einer pfingstrosenfarbenen Röte überzogen, und sie erstickte fast vor lauter Stottern.
»Sie meinen...«, fing ich an, während ich überlegte, wie ich sie möglichst taktvoll dazu bringen konnte, sich auszusprechen, ohne daß ich mich auf Mutmaßungen über das Liebesleben der Franzosen einließ. Doch bei dem Gedanken an das, was Mr. Hawkins mir über Marys Vater und dessen Heiratspläne für seine Tochter erzählt hatte, schien es mir angebracht, ihr den Unsinn auszureden, den sie offensichtlich in Salons und Ankleidezimmern aufgeschnappt hatte. Ich wollte nicht, daß ihr angst und bange wurde, falls sie am Ende doch mit einem Franzosen verheiratet wurde.
»Was s-sie im... Bett machen!« flüsterte sie heiser.
»Nun«, erwiderte ich nüchtern, »im Grunde läuft es immer auf ein paar Dinge hinaus, die man mit einem Mann im Bett machen kann. Und wenn ich mir all die vielen Kinder in der Stadt ansehe, würde ich annehmen, daß auch die Franzosen sich auf die herkömmlichen Methoden verstehen.«
»Ach, Kinder... ja, natürlich«, meinte sie unbestimmt, als könnte sie keinen direkten Zusammenhang erkennen. »A-a-aber man sagt...«, sie senkte verschämt den Blick, dann die Stimme, »d-die f-französischen M-männer haben so ein Ding, wissen Sie...«
»Ja, ich weiß.« Ich
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