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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Verengung der äußeren Blutgefäße, so daß sich das Blut in den inneren Organen sammelt, wo es unserem jungen Freund mehr nutzt.« Mit diesen Worten packte er den Patienten an den Haaren und kippte ihm den Inhalt des Fläschchens mit geübtem Griff in den Mund.
    »Ja«, meinte er zufrieden, als der Mann schluckte und tief durchatmete, »so ist es gut. Was nun den Schmerz betrifft - es wäre wohl
das beste, das Bein zu betäuben, damit er sich nicht allzusehr wehrt, wenn wir es strecken.«
    Abermals griff er in seine große Tasche und brachte diesmal eine kleine, etwa acht Zentimeter lange Messingnadel mit einem breiten, flachen Kopf zum Vorschein. Monsieur Forez tastete mit seiner knochigen Hand vorsichtig die Lendengegend des Patienten ab, wobei er dem dünnen blauen Strich einer größeren Vene folgte. Zögernd hielt er inne und befühlte eine Stelle, bis er fand, was er suchte. Dort setzte er dann die Nadel an. Ein weiterer Griff in seine Wundertasche förderte einen kleinen Messinghammer zutage, und mit einem einzigen Schlag trieb der Mann die Nadel ins Fleisch.
    Das Bein zuckte zunächst heftig, dann erschlaffte es. Das Gefäßverengungsmittel tat anscheinend seine Wirkung, denn aus der Einstichwunde sickerte bemerkenswert wenig Blut.
    »Verblüffend!« rief ich aus. »Was haben Sie gemacht?«
    Monsieur Forez lächelte schüchtern, und die Freude über mein Kompliment verlieh seinen Wangen einen rosigen Schimmer.
    »Nun, es klappt nicht immer so gut«, räumte er bescheiden ein. »Diesmal war mir das Glück hold.« Während er auf die Messingnadel deutete, erläuterte er: »Hier ist ein großes Bündel von Nervenenden, Schwester, was die Anatomen plexus nennen. Wenn man es genau trifft, werden die Empfindungen in den unteren Extremitäten weitgehend betäubt.« Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er wertvolle Zeit mit Reden vergeudete.
    »Los, ma soeur «, befahl er. »Zurück an Ihren Platz! Das Stimulans wirkt nicht lange. Wir müssen uns an die Arbeit machen, solange die Blutung unterdrückt wird.«
    Das beinahe lahme Bein ließ sich ohne weiteres strecken, und die gesplitterten Knochenenden schoben sich unter die Haut. Gemäß Monsieur Forez’ Anweisungen packte ich den jungen Mann nun am Oberkörper, während er am Fuß zog und so das Bein ständig unter Spannung hielt. Nun konnte er die Knochen einrichten und einige letzte Korrekturen vornehmen.
    »Das genügt, Schwester. Halten sie jetzt den Fuß einfach nur einen Augenblick gerade.« Auf einen Ruf hin brachte ein Pfleger mehrere dicke Holzstöcke und Verbandsstoff, und im Nu hatten wir das Bein geschient und an den offenen Wunden feste Druckverbände angelegt.

    Monsieur Forez und ich beglückwünschten uns über unseren Patienten hinweg zu unserem Erfolg.
    »Hervorragende Arbeit«, meinte ich und strich mir eine Locke, die sich gelöst hatte, aus der Stirn. Monsieur Forez’ Gesichtsausdruck wandelte sich schlagartig, als er erkannte, daß ich keinen Schleier trug. In diesem Augenblick ertönte von der Kirche nebenan das durchdringende Vespergeläut. Verblüfft starrte ich aus dem großen Fenster des Saales, das wegen der üblen Gerüche unverglast war. Tatsächlich - Abenddämmerung brach herein.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich und begann, mein Arbeitsgewand abzustreifen. »Ich muß sofort gehen; mein Mann wird sich sorgen, wenn ich so spät heimkomme. Ich freue mich, daß ich die Gelegenheit hatte, Ihnen bei der Arbeit zu helfen, Monsieur Forez.« Das Erstaunen des großgewachsenen Knocheneinrichters war unübersehbar, als er mich beim Ausziehen des Gewands beobachtete.
    »Aber Sie... nein, Sie sind natürlich keine Nonne, das hätte ich schon früher merken müssen... aber Sie... wer sind Sie?« fragte er neugierig.
    »Ich heiße Fraser«, antwortete ich knapp. »Schauen Sie, ich muß jetzt weg, mein Mann...«
    Er richtete sich zu voller Größe auf, dann verbeugte er sich ehrerbietig.
    »Es wäre mir eine große Ehre, wenn ich Sie nach Hause begleiten dürfte, Madame Fraser.«
    »Oh... äh, vielen Dank«, sagte ich, gerührt von seiner Zuvorkommenheit. »Aber ich habe einen Begleiter.« Mein Blick schweifte durch den Saal auf der Suche nach Fergus, der mich nun anstelle von Murtagh begleitete, wenn man ihn nicht gerade für Raubzüge benötigte. Ich entdeckte ihn am Türpfosten, zappelnd vor Ungeduld. Ich fragte mich, wie lange er da wohl schon stand. Die Schwestern hatten ihm verboten, die Krankensäle zu betreten, daher mußte er an der Tür

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