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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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gebeten, wenn er Ihnen nicht vertrauen würde«, entgegnete ich entrüstet.
    Ihre hochgezogenen Augenbrauen berührten fast den Schleier, als sie mit Nachdruck auf das Blatt tippte.
    »Wenn dies hier Teil seiner Aufgabe ist, geht er ein erhebliches Risiko ein, jedem beliebigen Menschen sein Vertrauen zu schenken. Sagen Sie ihm, daß ich die Ehre zu schätzen weiß«, fügte sie trocken hinzu.
    »Das werde ich«, erwiderte ich lächelnd.
    »Nun, chère Madame «, sagte sie, plötzlich aufmerksam geworden. »Sie sind sehr blaß! Wenn ich mit einem neuen Stück beschäftigt bin, bleibe ich oft lange wach und mache mir wenig Gedanken über die späte Stunde. Aber für Sie ist es sicherlich schon spät.« Sie warf einen Blick auf die brennende Stundenkerze auf dem kleinen Tisch neben der Tür.
    »Du lieber Himmel, es ist ja bereits tiefe Nacht! Soll ich Schwester Madeleine bitten, Sie in Ihre Kammer zu begleiten?« Widerwillig hatte Jamie Mutter Hildegardes Vorschlag zugestimmt, ich solle die Nacht im Couvent des Anges verbringen, um nicht noch spätabends durch die dunklen Straßen nach Hause gehen zu müssen.
    Ich schüttelte den Kopf. Zwar war ich müde, und mein Rücken schmerzte, aber ich wollte nicht zu Bett gehen. Der Inhält dieser musikalischen Nachricht war zu beunruhigend, als daß ich sofort hätte einschlafen können.
    »Nun gut, dann sollten wir noch eine kleine Erfrischung zu uns nehmen, um den Erfolg unserer Anstrengungen zu feiern.« Mutter Hildegarde erhob sich und ging in den Salon nebenan, von wo ich das Klingeln der Glocke hörte. Eine Nonne, gefolgt von Bouton,
trug ein Tablett mit heißer Milch und kleinen glasierten Gebäckstücken herein. Als wäre es das Natürlichste von der Welt, legte sie ein Törtchen auf einen kleinen Porzellanteller und stellte ihn zusammen mit einer Schale Milch vor Bouton hin.
    Während ich die heiße Milch trank, legte Mutter Hildegarde das Papier, das uns so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte, auf den Sekretär und zog ein handgeschriebenes Notenblatt hervor.
    »Ich werde etwas für Sie spielen«, kündigte sie an. »Es wird Ihnen helfen, sich auf den Schlaf einzustimmen.«
    Eine leichte und beruhigende Musik erklang. In angenehmer Vielfarbigkeit strömte sie vom Diskant über den Baß und wieder zurück, jedoch ohne die für Bach typische vorantreibende Kraft.
    »Haben Sie das komponiert?« fragte ich, als sie nach dem Schlußakkord die Hände von den Tasten nahm.
    Ohne sich umzuwenden, schüttelte sie den Kopf.
    »Nein, ein Freund, Jean Philippe Rameau. Eher ein guter Theoretiker als ein Komponist voller Leidenschaft.«
    Hinweggetragen von der Musik, war ich offensichtlich eingenickt, denn plötzlich erwachte ich von Schwester Madeleines Gemurmel und ihrem warmen, festen Griff, mit dem sie mich auf die Füße stellte, bevor sie mich wegführte.
    Als ich mich umwandte, sah ich Mutter Hildegardes ausladenden Rücken unter dem schwarzen Gewand und die Rundungen ihrer kräftigen Schultern, während sie spielte - der Welt außerhalb ihres Allerheiligsten offensichtlich weit entrückt. Unweit ihrer Füße lag Bouton auf den Dielen, die Nase auf den Pfoten und den schmalen Körper pfeilgerade ausgerichtet wie eine Kompaßnadel.
     
    »Das heißt also«, meinte Jamie, »daß mehr als bloßes Gerede dahintersteckt - vielleicht!«
    »Vielleicht?« hakte ich nach. »Ein Angebot in Höhe von fünfzigtausend Pfund klingt recht handfest.« Fünfzigtausend Pfund entsprachen zur damaligen Zeit dem Jahreseinkommen eines mittelgroßen Herzogtums.
    Spöttisch hob er beim Anblick des handgeschriebenen Notenblatts, das ich bei meiner Rückkehr aus dem Konvent bei mir trug, eine Braue.
    »Nun, ein solches Angebot ist kein großes Risiko, da es zur Bedingung macht, daß einer von beiden - Charles oder James -
englischen Boden betritt. Wenn Charles nach England kommt, heißt das, daß er bereits anderweitig Unterstützung bekommen hat, mit deren Hilfe er nach Schottland gelangen konnte. Nein, dieses Angebot ist deswegen so interessant, weil es der erste sichere Hinweis darauf ist, daß mindestens einer der Stuarts wirklich einen Versuch unternimmt, den Thron zu erobern.«
    »Einer von ihnen?« Mir war diese Einschränkung nicht entgangen. »Willst du damit sagen, daß James nicht daran beteiligt ist?« Ich betrachtete die verschlüsselte Nachricht mit wachsendem Interesse.
    »Die Mitteilung war für Charles bestimmt«, erinnerte mich Jamie, »und sie kam direkt aus England - nicht über Rom.

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