Die Geliehene Zeit
Fergus hat sie einem gewöhnlichen Boten entwendet und nicht einem päpstlichen Abgesandten; sie lag in einem Päckchen, das mit englischen Siegeln versehen war. Nach allem, was ich in James’ Briefen gelesen habe...« Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. Er war noch unrasiert, und im Morgenlicht tanzten auf seinen kastanienbraunen Stoppeln kleine kupferfarbene Funken.
»Das Paket war geöffnet worden; Charles hat die Nachricht also gesehen. Da sie kein Datum trug, weiß ich nicht, wann er sie erhalten hat. Natürlich kennen wir die Briefe nicht, die Charles seinem Vater geschrieben hat. Aber in James’ Schreiben wird nie jemand erwähnt, der der Komponist sein könnte, geschweige denn konkrete Versprechen englischer Unterstützung.«
Mir wurde klar, worauf er abzielte.
»Und Louise de La Tour schwatzte davon, Charles wolle ihre Ehe annullieren lassen, damit er sie zur Frau nehmen könne, wenn er erst einmal König wäre. Meinst du also, Charles hat nicht bloß vor ihr großgetan?«
»Vielleicht nicht«, antwortete er. Er goß Wasser aus dem Krug im Schlafzimmer in die Schüssel und benetzte damit sein Gesicht.
»Dann ist es also möglich, daß Charles auf eigene Faust handelt?« fragte ich, entsetzt und fasziniert von dieser Möglichkeit. »Vielleicht hat James seinem Sohn aufgetragen, er solle so tun, als planten sie den Griff nach dem Thron, um Louis von ihrem Wert zu überzeugen...«
»... und Charles tut nicht nur so«, unterbrach Jamie. »Ja, sicher, so mag es scheinen. Ist hier irgendwo ein Handtuch, Sassenach?« Mit zusammengekniffenen Augen und tropfnassem Gesicht tastete
er über den Tisch. Ich brachte das Manuskript in Sicherheit und reichte ihm das Handtuch.
Kritisch prüfte er die Rasierklinge. Nachdem er sie für tauglich befunden hatte, lehnte er sich über meinen Toilettentisch, betrachtete sich im Spiegel und verteilte den Rasierschaum auf den Wangen.
»Warum ist es barbarisch, wenn ich mir die Haare an den Beinen und unter den Achseln rasiere, und warum ist es nicht barbarisch, wenn du dir das Gesicht rasierst?« wollte ich wissen, als er die Oberlippe straff über die Schneidezähne schob und den Bereich unter der Nase in Angriff nahm.
»Es ist auch barbarisch«, antwortete er und blinzelte sich im Spiegel zu, »aber wenn ich es nicht tue, juckt es höllisch.«
»Hast du dir jemals einen Bart wachsen lassen?« fragte ich neugierig.
»Nicht absichtlich«, entgegnete er mit einem schiefen Lächeln, als er über eine Wange kratzte, »aber zu meiner Zeit als Geächteter in Schottland war ich hin und wieder dazu gezwungen. Wenn ich vor der Wahl stand, mich entweder mit einer stumpfen Klinge und in einem kalten Bach zu rasieren oder es jucken zu lassen, entschied ich mich für das Jucken.«
Ich lachte und sah zu, wie er die Klinge mit einem Schwung über den Kiefer zog.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie du mit einem Vollbart aussiehst. Ich kenne dich nur im stoppeligen Zustand.«
Mit einem Mundwinkel lächelte er mich an, den anderen zog er nach unten, um die Wange unterhalb des markanten Backenknochens zu bearbeiten.
»Wenn wir das nächste Mal nach Versailles eingeladen werden, Sassenach, frage ich, ob wir den Zoo besuchen können. Louis hält dort ein Tier, das einer seiner Kapitäne von Borneo mitgebracht hat. Es nennt sich Orang-Utan. Hast du jemals einen gesehen?«
»Ja«, erwiderte ich, »im Londoner Zoo gab es vor dem Krieg zwei.«
»Dann kannst du dir vorstellen, wie ich mit Bart aussehe«, sagte er lächelnd und beendete die Rasur mit einer gründlichen Prüfung seines Kinns. »Rauh und mottenzerfressen. So ähnlich wie der Vicomte de Marigny«, fügte er hinzu, »nur rot.«
Als hätte ihn der Name an unser Gespräch erinnert, nahm er den
Faden wieder auf, während er sich die restliche Seife mit dem Leinenhandtuch vom Gesicht wischte.
»Ich denke, wir sollten jetzt ein scharfes Auge auf die Engländer in Paris haben.« Er nahm das Notenblatt vom Bett und überflog nachdenklich die Seiten. »Falls ihm tatsächlich jemand Unterstützung in diesem Ausmaß gewähren will, wird er vermutlich einen Boten zu Charles schicken. Wenn ich fünfzigtausend Pfund riskiere, würde es mich doch sehr interessieren zu sehen, was ich dafür bekomme. Oder was meinst du?«
»O ja, sicher«, antwortete ich. »Und apropos Engländer-kauft Seine Hoheit in patriotischer Gesinnung den Weinbrand bei dir und Jared, oder beehrt er etwa Mr. Silas Hawkins?«
»Mr. Hawkins, der unbedingt in
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