Die Geliehene Zeit
leicht benebelt, und meine Füße erschienen mir gefährlich weit weg.
Als ich mich suchend nach einer Sitzgelegenheit umwandte, fiel mein Blick auf den Comte de St. Germain am anderen Ende des Saales. Vielleicht war er es, den Jamie ins Visier genommen hatte. Der Comte wiederum betrachtete mich, und als er mich so anstarrte, lächelte er. Ein für ihn ungewohnter Ausdruck, und er stand ihm ganz und gar nicht. Ich dachte jedoch nicht weiter darüber nach, sondern verbeugte mich in seine Richtung, so graziös ich konnte. Dann gesellte ich mich wieder zu den Damen, plauderte über dieses und jenes und versuchte das Gespräch möglichst oft auf Schottland und den im Exil lebenden König zu lenken.
Im großen und ganzen schien die Aussicht, das Haus Stuart könnte möglicherweise wieder den englischen Thron besteigen, die französische Aristokratie nicht sonderlich zu beschäftigen. Der Name Charles Stuart, den ich ab und zu beiläufig fallen ließ, rief lediglich Augenrollen und gelangweiltes Schulterzucken hervor. Trotz der Bemühungen des Grafen von Mar und der anderen Pariser Jakobiten weigerte sich Louis hartnäckig, Charles bei Hofe zu empfangen. Und ein mittelloser Exilant, der sich nicht der Gunst des Königs erfreute, konnte nicht erwarten, in die Gesellschaft aufgenommen zu werden und dort die Bekanntschaft wohlhabender Bankiers zu machen.
»Der König ist nicht besonders erfreut, daß sein Cousin nach Frankreich gereist ist, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten«, klärte mich die Comtesse de Brabant auf, als ich das Thema anschnitt. »Er soll gesagt haben, was ihn betrifft, könne England protestantisch bleiben. Und wenn die Engländer mitsamt George von Hannover in der Hölle schmoren, um so besser!« Mitfühlend schürzte sie die Lippen; sie war ein gütiger Mensch. »Es tut mir leid. So enttäuschend es für Sie und Ihren Mann auch sein mag...« Sie zuckte die Schultern.
Mit derartigen Enttäuschungen würden wir durchaus leben können, dachte ich und begab mich wieder auf die Suche nach weiterem verwertbaren Klatsch. Aber das Glück war mir an jenem Abend nicht hold. Die Jakobiten, so gab man mir zu verstehen, seien ein langweiliges Thema.
»Mit dem Turm den Damenbauer schlagen«, murmelte Jamie,
als wir uns zum Schlafen niederlegten. Wieder einmal durften wir als Gäste im Schloß übernachten. Da die Partie bis weit nach Mitternacht gedauert hatte und der Finanzminister von unserer Rückfahrt nach Paris um diese Uhrzeit nichts hören wollte, brachte man uns in einem kleinen appartement unter. Diesmal war es sogar um ein bis zwei Kategorien besser ausgestattet als beim vorigen Mal, stellte ich fest - mit Federbett und einem Fenster, das auf den südlichen Blumengarten hinausging.
»Ja, ja, die Türme«, meinte ich, glitt ins Bett und streckte tiefseufzend meine Glieder. »Träumst du heute nacht vom Schach?«
Jamie nickte und gähnte, daß ihm die Tränen kamen und sein Kiefer fast aus dem Gelenk sprang.
»Aye, ganz bestimmt. Hoffentlich stört es dich nicht, wenn ich im Schlaf eine Rochade ausführe.«
Erleichtert darüber, endlich zu liegen und meinen Bauch nicht mehr tragen zu müssen, bewegte ich meine Füße hin und her. Ein feiner, wenn auch nicht unangenehmer Schmerz durchfuhr mich, als sich auch mein unteres Rückgrat allmählich entspannte.
»Wenn du magst, mach im Schlaf einen Kopfstand«, erwiderte ich gähnend. »Heute nacht lasse ich mich durch nichts mehr stören.«
Selten hatte ich mich so geirrt.
Ich träumte von dem Baby, das so kräftig strampelte, daß sich mein geschwollener Bauch hob und senkte. Ich fuhr mir über den gewölbten Leib und massierte die gespannte Haut, um den inneren Aufruhr zu besänftigen. Doch in der stillen Gewißheit, die sich in Träumen manchmal einstellt, wurde mir klar, daß es nicht das Baby war, das in mir tobte, sondern eine Schlange. Ich krümmte mich, zog die Beine an, um das Untier zu bändigen. Suchend fuhr ich mit den Händen über den Bauch, weil ich seinen Kopf packen wollte. Meine Haut brannte wie Feuer, und meine Eingeweide wanden sich, wurden selbst zu Schlangen, bissen und schlugen um sich, während sie sich ineinander verwickelten.
»Claire! Wach auf, Mädel! Was ist los?« Der Klang der Stimme brachte mich halbwegs zu mir. Ich lag auf dem Bett, Jamie hielt meine Schulter, und ich war zugedeckt mit Leintüchern. Doch die Schlangen in meinem Bauch kamen nicht zur Ruhe, und ich erschrak selbst zutiefst über mein lautes Stöhnen.
Jamie
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