Die Geliehene Zeit
schob die Laken beiseite, rollte mich auf den Rücken und
versuchte, meine Beine auszustrecken. Störrisch verharrte ich in meiner zusammengekrümmten Stellung und hielt mir den Bauch, weil ich hoffte, auf diese Weise den höllischen Schmerz eindämmen zu können.
Jamie deckte mich wieder zu und verließ hastig das Zimmer; er nahm sich kaum Zeit, seinen Kilt anzulegen.
Ich achtete nur noch auf das Toben in meinem Innern. In meinen Ohren brauste es, und kalter Schweiß bedeckte mein Gesicht.
»Madame! Madame!«
Als ich die Augen öffnete, blickte ich in das entsetzte Gesicht des Zimmermädchens. Hinter ihr stand Jamie, halbnackt und außer sich vor Angst. Kurz bevor ich erneut die Lider schloß, sah ich, wie er das Mädchen so hart bei der Schulter packte, daß sich die Locken unter der Haube lösten.
»Verliert sie das Baby? So sagen Sie doch was!«
Es schien fast so. Stöhnend und keuchend warf ich mich von einer Seite auf die andere.
Dann drangen plötzlich weibliche Stimmen an mein Ohr. Hände berührten mich und griffen nach mir. Inmitten dieses Durcheinanders erkannte ich die Stimme eines Mannes. Eines Franzosen. Auf seine Anweisung hin schlossen sich etliche Finger um meine Fußgelenke und Schultern und streckten meinen Körper aus.
Eine Hand faßte unter mein Nachthemd und tastete meinen Bauch ab. Als ich keuchend die Augen öffnete, erkannte ich Monsieur Fleche, den Hofmedicus. Mit gerunzelter Stirn kniete er neben meinem Bett. Von dieser Gunstbezeugung des Königs hätte ich mich eigentlich geschmeichelt fühlen müssen, doch im Augenblick war es mir einerlei. Die Schmerzen veränderten sich. Mein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, die von oben nach unten zu wandern schienen und zusehends stärker wurden.
»Keine Fehlgeburt«, versicherte Monsieur Fleche Jamie, der ihm besorgt über die Schulter sah. »Keinerlei Blutung.« Ich bemerkte, wie eine der Damen entsetzt auf die Narben auf Jamies Rücken starrte. Sie griff ihre Nachbarin am Ärmel und deutete auf die Male.
»Vielleicht eine Gallenkolik«, erklärte Monsieur Fleche, »oder eine plötzliche Leberentzündung.«
»Idiot«, stieß ich hervor.
Monsieur Fleche starrte hochmütig auf mich herab und setzte sich, um die Wirkung zu steigern, ein wenig verspätet den goldenen
Zwicker auf die Nase. Dann legte er eine Hand auf meine feuchte Stirn und bedeckte dabei wie zufällig auch meine Augen, damit ich ihn nicht länger anfunkeln konnte.
»Höchstwahrscheinlich die Leber«, meinte er zu Jamie. »Der Druck auf die Gallensteine führt zu einem Anstieg der gelben Galle im Blut und verursacht Schmerzen - und zeitweilige Geistesverwirrung«, fügte er bestimmt hinzu und preßte seine Hand ein wenig stärker auf meine Stirn, als ich mich hin und her wand. »Sie sollte umgehend zur Ader gelassen werden. - Plato, das Becken!«
Gewaltsam befreite ich mich aus seinen Händen. »Verschwinden Sie, Sie verdammter Quacksalber! Jamie, laß ihn nicht an mich ran damit!« Plato, der Assistent von Monsieur Fleche, trat mit der Lanzette und dem Becken auf mich zu, während die Damen im Hintergrund nach Luft rangen und einander Wind zufächelten.
Jamie, aus dessen Gesicht alle Farbe gewichen war, ließ den Blick zwischen Monsieur Fleche und mir hin und her wandern. Dann kam er zu einem Entschluß, packte den armen Plato, drehte ihn herum und schob ihn zur Tür. Kreischend wichen die Kammerzofen und Damen zurück.
»Monsieur! Monsieur le chevalier!« protestierte der Medicus. Als man ihn zu Hilfe gerufen hatte, war es ihm gerade noch gelungen, seine Perücke sachgemäß anzulegen. Zum Anziehen war ihm jedoch keine Zeit geblieben, und als er mit wild rudernden Armen - wie eine übergeschnappte Vogelscheuche - hinter Jamie hereilte, flatterten die Ärmel seines Nachtgewandes wie Flügel.
Wieder wurde ich von einem Krampf erfaßt, der sich wie eine Klammer um meine Eingeweide legte. Ich schnappte nach Luft und rollte mich erneut zusammen. Als der Schmerz etwas nachließ und ich die Augen öffnete, bemerkte ich, daß mich eine Dame forschend anblickte. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich eine plötzliche Erkenntnis ab, und ohne mich aus den Augen zu lassen, flüsterte sie ihrer Nachbarin etwas zu. Im Zimmer herrschte zu großer Lärm, als daß ich sie hätte verstehen können, doch ich konnte ihr das Wort von den Lippen ablesen: »Gift!«
Als der Schmerz geheimnisvoll gurgelnd weiter nach unten wanderte, wurde mir schlagartig klar, was los war. Es war keine
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