Die Geliehene Zeit
Schlagfertigkeit beraubt. Vornübergebeugt hockte er auf einem Schemel neben dem Feuer. Erst nachdem ich die Sache mit dem weißen Kristall erzählt hatte, kam wieder Leben in ihn.
»Es stimmt, Herr«, versicherte er Jamie. »Ich bin mir nicht sicher, ob sich Ihre Frau oder Sie selbst in Gefahr befinden, oder gar Sie beide. Ich habe keine Einzelheiten erfahren, sondern nur den Namen ›Fraser‹ gehört, an einem Ort, an dem man seinen Namen lieber nicht hören möchte.«
Jamie sah ihn scharf an. »Tatsächlich? Und Sie sind dort gleichfalls anzutreffen, Maitre Raymond? Sind diese Leute gar Partner von Ihnen?«
Raymonds Lächeln fiel ein wenig matt aus. »Ich würde sie eher als Rivalen bezeichnen, Herr.«
»Mmmpf. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Warnung, Maitre Raymond.« Er verneigte sich vor dem Apotheker, ohne ihm jedoch die Hand zu reichen. »Was die andere Angelegenheit betrifft - da meine Frau gewillt scheint, Ihnen zu vergeben, werde auch ich kein Wort mehr darüber verlieren. Allerdings würde ich Ihnen raten, daß Sie, wenn die Vicomtesse das nächste Mal auftaucht, schleunigst in Ihrem Mauseloch da drüben verschwinden. Auf geht’s, Sassenach.«
Auf unserer holprigen Fahrt in die Rue Tremoulins blieb Jamie schweigsam. Er starrte aus dem Fenster der Kutsche und klopfte sich mit den steifen Fingern seiner Rechten auf den Oberschenkel.
»Ein Ort, an dem man seinen Namen lieber nicht hören möchte«, murmelte er, als der Wagen in die Rue Ganboge einbog. »Ich möchte zu gern wissen, was sich dahinter verbirgt.«
Mir fielen die kabbalistischen Symbole auf Raymonds Schrank wieder ein, und es überlief mich kalt. Ich erinnerte mich an die Gerüchte, die mir Marguerite über den Comte de St. Germain erzählt hatte, und an Madame de Ramages Warnungen. Ich erzählte Jamie davon und was Raymond gesagt hatte.
»Für ihn sind die Symbole vielleicht nur Malerei und Dekoration«, schloß ich meine Ausführungen. »Aber er kennt zweifellos
Leute, die anderer Ansicht sind. Wen sonst sollte er von dem Schrank fernhalten wollen?«
Jamie nickte. »Aye. Das ist mir nicht neu. Es gibt allerhand Gerüchte bei Hofe. Ich habe ihnen keine Beachtung geschenkt, weil ich es für albernes Gerede hielt, aber jetzt schaue ich mir die Sache genauer an.« Plötzlich lachte er auf und zog mich an sich. »Ich werde Murtagh auf den Comte de St. Germain ansetzen. Dann hat der Comte endlich einen echten Dämon, gegen den er sich wehren muß.«
17
Begehren und Erfüllung
Murtagh wurde also beauftragt, ein wachsames Auge auf alle Besucher des Comte de St. Germain zu haben. Doch abgesehen davon, daß der Comte bemerkenswert viele Gäste - beiderlei Geschlechts und quer durch sämtliche Gesellschaftsschichten - bewirtete, konnte Murtagh nichts sonderlich Geheimnisvolles vermelden. Nur ein Besucher fiel aus dem Rahmen: Charles Stuart erschien eines Nachmittags und blieb eine Stunde.
Charles forderte Jamie immer häufiger auf, ihn auf seinen Streifzügen durch Tavernen und zwielichtige Vergnügungsstätten zu begleiten. Ich vermutete, daß Charles’ Wunsch nach Jamies Gesellschaft weniger mit irgendwelchen üblen Machenschaften des Comte zu tun hatte als vielmehr mit dem Fest, das Jules de La Tour de Rohan aus Freude über die Schwangerschaft seiner Frau veranstaltete.
Diese Unternehmungen dauerten manchmal bis tief in die Nacht. Ich gewöhnte mich daran, ohne Jamie ins Bett zu gehen und geweckt zu werden, wenn er durchfroren und nach Tabakrauch und Schnaps riechend, neben mir ins Bett sank.
»Er ist wie besessen von dieser Frau und hat anscheinend völlig vergessen, daß er der Thronerbe von Schottland und England ist«, sagte Jamie nach einem dieser Streifzüge.
»Dann muß er wirklich vollkommen durcheinander sein«, erwiderte ich sarkastisch. »Hoffentlich hält der Zustand an.«
Als ich eine Woche später im fahlen Licht der Morgendämmerung erwachte, fand ich das Bett neben mir immer noch leer.
»Ist der Herr von Broch Tuarach in seinem Arbeitszimmer?« Im Nachthemd lehnte ich mich über das Treppengeländer, so daß Magnus, der soeben die Eingangshalle durchquerte, sichtlich erschrak. Vielleicht hatte Jamie sich aus Rücksicht auf mich entschieden, auf dem Sofa seines Arbeitszimmer zu schlafen.
»Nein, Madame«, antwortete der Diener und starrte mich an. »Als ich soeben die Vordertür aufschließen wollte, habe ich festgestellt, daß sie nicht verriegelt war. Der Herr ist heute nacht nicht nach Hause
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