Die Geliehene Zeit
auf seine suchenden Finger und drückte sie. Er erwiderte den Druck, dann hauchte er rasch einen Kuß auf meine Hand.
»Allm Was immer er in meinem Gesicht sah, entrang ihm ein weiteres »Mein Gott«. Er sank auf die Knie und zog mich an seine gerüschte Hemdbrust. Ich hörte auf, Mut vorzutäuschen, und klammerte mich an ihn.
»Ach Gott, Jamie. Ich hatte solche Angst. Ich habe solche Angst. Lieber Himmel, ich möchte jetzt mit dir schlafen.«
Er lachte und zog mich noch enger an sich.
»Du glaubst, das würde helfen?«
»Ja.«
Mir war, als würde ich mich erst wieder sicher fühlen können, wenn ich geborgen in unserem Bett lag, umgeben von der schützenden Stille des Hauses, und Jamies Wärme und Stärke neben mir, in mir spürte. Die Freude über unsere Vereinigung würde mir wieder Mut machen und Sicherheit geben und das entsetzliche Gefühl der Hilflosigkeit auslöschen, das die versuchte Vergewaltigung hinterlassen hatte.
Er nahm mein Gesicht in seine Hände und küßte mich, so daß die Angst vor der Zukunft und das Grauen der nächtlichen Erlebnisse für einen Augenblick von mir abfielen. Dann trat er zurück und lächelte. Auch er hatte Sorgenfalten, aber in seinen Augen konnte ich nichts weiter sehen als mein kleines Spiegelbild.
»Dann tun wir es auf jeden Fall«, sagte er zärtlich.
Wir waren ohne Zwischenfälle beim zweiten Gang angelangt, und ich entspannte mich allmählich, obwohl meine Hand über der Bouillon immer noch zitterte.
»Faszinierend!« rief ich und ermutigte damit Monsieur Duverney den Jüngeren, mit seinem Bericht fortzufahren, während ich
gleichzeitig auf etwaige verdächtige Geräusche aus dem oberen Stockwerk lauschte.
Ich fing Magnus’ Blick auf, während er mir gegenüber den Comte de St. Germain bediente, und schenkte ihm ein anerkennendes Lächeln, so gut das mit einem Mund voll Fisch ging. Zu wohlerzogen, um mein Lächeln in der Öffentlichkeit zu erwidern, dankte er mir mit einem leichten Nicken und bediente weiter. Meine Hand wanderte zu dem Kristall an meinem Hals, und ich spielte herausfordernd damit, doch der Comte ließ sich seine Forelle mit Mandeln ohne jedes Anzeichen von Verstörung schmekken.
Unterdessen führten Jamie und Duverney der Ältere am anderen Ende der Tafel ein lebhaftes Gespräch. Die Speisen blieben unbeachtet, da Jamie mit der linken Hand Zahlen auf ein Blatt Papier kritzelte. Schach oder Geschäftliches, fragte ich mich.
Als Ehrengast nahm der Herzog von Sandringham den besten Platz an der Tafel ein. Die ersten Gänge hatte er mit der Begeisterung des wahren Genießers vertilgt und unterhielt sich nun angeregt mit Madame d’Arbanville zu seiner Rechten. Da der Herzog zu dieser Zeit der namhafteste Engländer in Paris war, hatte Jamie sich die Mühe gemacht, die Bekanntschaft mit ihm zu pflegen - in der Hoffnung, auf Gerüchte zu stoßen, die zum Absender der musikalischen Botschaft an Charles Stuart führen würden. Doch meine Aufmerksamkeit wanderte immer wieder vom Herzog zu seinem Gegenüber - Silas Hawkins.
Ich hätte auf der Stelle tot umfallen und damit allen Beteiligten Ärger ersparen können, als der Herzog durch die Tür spaziert kam, beiläufig über die Schulter blickte und meinte: »Mrs. Fraser, Sie kennen Hawkins doch bereits, nicht wahr?«
Aus den fröhlichen kleinen Augen des Herzogs sprach die treuherzige Gewißheit, daß ich ihm seinen Wunsch nicht abschlagen würde, also lächelte ich, nickte und bat Magnus, noch ein Gedeck aufzulegen. Als Jamie sah, wie Mr. Hawkins durch die Salontür schritt, erweckte er den Eindruck, noch eine Dosis Magentropfen vertragen zu können. Doch er nahm sich zusammen, streckte Mr. Hawkins die Hand entgegen und begann ein Gespräch über die Gasthäuser auf dem Weg nach Calais.
Ich warf einen Blick auf die Uhr über dem Kaminsims. Wie lange würde es noch dauern, bis sie endlich alle fort waren? Im Geiste
ging ich die bereits servierten und die noch geplanten Gänge durch. Bald kam das Dessert, dann der Salat und der Käse. Weinbrand und Kaffee für die Herren, Likör für die Damen. Ein, zwei Stunden anregende Gespräche. Nicht zu anregend, bei Gott, sonst blieben sie womöglich bis zum Morgengrauen.
Nun war vom Unwesen der Bandenräuber die Rede. Ich ließ den Fisch stehen und nahm ein Brötchen.
»Und ich habe gehört, daß einige dieser Banden
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