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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Jamie die Lage; leise befahl er Fergus, die Gasse hinunterzulaufen und nach Gendarmen Ausschau zu halten. Nachdem alle nötigen Vorkehrungen getroffen waren, ging er wieder vor mir in die Hocke.
    »Alles in Ordnung, Sassenach?« erkundigte er sich.
    »Nett, daß du fragst«, erwiderte ich höflich. »Ja, danke. Aber ihr geht es nicht besonders.« Ich deutete auf Mary, die immer noch zusammengerollt auf dem Boden kauerte, wie Espenlaub zitterte und vor Alexander zurückwich, der unbeholfen versuchte, sie zu tätscheln.
    Jamie hatte nur einen kurzen Blick für sie übrig. »Verstehe. Wo zum Teufel ist Murtagh?«
    »Dort drüben«, antwortete ich. »Hilf mir auf.«
    Ich stolperte zur Gosse, wo der Sack, der Murtagh barg, herumzappelte wie eine erboste Raupe und eine erstaunliche Mixtur erstickter Flüche in drei Sprachen von sich gab.
    Jamie zog seinen Dolch und schlitzte in gefühlloser Mißachtung seines Inhalts den Sack von oben bis unten auf. Aus der Öffnung sprang Murtagh wie ein Schachtelteufelchen. Ein Teil seines borstigen schwarzen Haares klebte ihm, durchtränkt von der ekelhaften Flüssigkeit, in der der Sack gelegen war, am Kopf, der andere stand ab. Das verlieh seinem Gesicht, das durch eine große dunkelrote Beule an der Stirn und ein Veilchen entstellt war, ein noch wilderes Aussehen.
    »Wer hat mich niedergeschlagen?« bellte er.
    »Ich war’s nicht«, meinte Jamie und zog die Brauen hoch. »Komm schon, Mann, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
     
    »Das kann nicht gutgehen«, murmelte ich, während ich meine Frisur mit brillantenbesetzten Haarnadeln feststeckte. »Sie müßte medizinisch versorgt werden. Sie braucht einen Arzt!«
    »Sie hat schon einen«, erklärte Jamie, hob das Kinn und knüpfte, in den Spiegel blickend, sein Halstuch. »Dich.« Dann griff er zum Kamm und ließ ihn hastig durch seine dichten roten Haare gleiten.
    »Keine Zeit zum Flechten«, meinte er, hielt seinen dicken roten Schopf am Hinterkopf zusammen und fing an, in einer Schublade zu wühlen. »Hast du ein Band, Sassenach?«
    »Laß mich das machen.« Ich trat hinter ihn, schlug die Haarspitzen unter und umwickelte die Haare mit einer grünen Schleife. »So ein Mist, ausgerechnet heute müssen wir eine Abendgesellschaft geben!«
    Und zwar keine gewöhnliche. Der Herzog von Sandringham war als Ehrengast geladen und sollte in einem kleinen, aber erlesenen Kreis empfangen werden. Monsieur Duverney kam mit seinem ältesten Sohn, einem bekannten Bankier. Louise und Jules de La Tour gaben sich die Ehre. Und damit es ein bißchen interessanter wurde, hatten wir auch den Comte de St. Germain eingeladen.
    »St. Germains!« hatte ich erstaunt ausgerufen, als Jamie mich eine Woche zuvor in seine Pläne eingeweiht hatte. »Wozu denn das?«
    »Ich habe geschäftlich mit ihm zu tun«, erklärte Jamie. »Er war schon öfter hier zu Gast, bei Jared. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und ihn beobachten, wenn er sich beim Essen mit dir unterhält. Wie ich ihn kenne, hält er mit seinen Gedanken nicht hinterm Berg.« Er nahm den weißen Kristall, den mir Maître Raymond gegeben hatte, und wog ihn nachdenklich in der Hand.
    »Sieht nicht schlecht aus«, meinte er. »Ich werde ihn in Gold fassen lassen, damit du ihn um den Hals tragen kannst. Spiel damit bei der Abendgesellschaft herum, bis jemand danach fragt, Sassenach. Dann erklärst du, wofür der Kristall gut ist. Achte auf St. Germains Reaktion, wenn du davon sprichst. Wenn er dir das Gift in Versailles verabreicht hat, dann wird er sich bestimmt irgendwie verraten.«
    Alles, wonach ich mich im Augenblick sehnte, war Ruhe, Stille und völlige Abgeschiedenheit, um meine Wunden zu lecken. Statt dessen erwartete mich eine Abendgesellschaft mit einem Herzog, der vielleicht ein Jakobit, vielleicht aber auch ein englischer Agent war, einem Comte, der unter Umständen als Giftmörder sein Unwesen trieb, und einem Vergewaltigungsopfer, das bei uns Unterschlupf gefunden hatte. Meine Hände zitterten so stark, daß ich die Kette mit dem Kristall kaum schließen konnte. Jamie trat hinter mich und half mir mit ruhiger Hand.
    »Hast du eigentlich Nerven?« wollte ich wissen. Er zog im Spiegel eine Grimasse und legte sich die Hände auf den Magen.

    »Aber gewiß doch. Nur spüre ich’s im Bauch und nicht in den Fingern. Hast du noch was von dem Zeug gegen Magenkrämpfe?
    »Dort drüben.« Ich deutete auf den Medizinkasten auf dem Tisch, der noch offenstand, da ich kurz zuvor Mary verarztet

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