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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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des Taschendiebs, und bald fielen mir die dichten Locken auf die Schultern. Während sich Strähne für Strähne löste, ging auch mein Atem allmählich etwas ruhiger.
    »Sie machen sich Sorgen, Madame?« fragte die leise Stimme hinter mir.
    »Ja«, sagte ich, zu müde, um Tapferkeit zu heucheln.
    »Ich auch«, sagte er schlicht.
    Die letzte Haarnadel fiel auf den Tisch, und ich sank mit geschlossenen Augen im Sessel zusammen. Dann spürte ich wieder eine Berührung; Fergus begann, meine Haare zu bürsten und vorsichtig zu entwirren.
    »Sie erlauben, Madame?« fragte er, da er mein plötzliches Zusammenzucken bemerkte. »Die Damen haben immer gesagt, es täte ihnen gut, wenn sie besorgt oder aufgeregt waren.«
    Ich entspannte mich unter der angenehmen Berührung.
    »Ich erlaube es«, erwiderte ich. »Danke.« Nach einer Weile fragte ich: »Welche Damen, Fergus?«
    Er zögerte kurz, dann fuhr er sanft mit seiner Tätigkeit fort.
    »In dem Haus, wo ich früher geschlafen habe, Herrin. Ich durfte nicht herauskommen wegen der Kunden, aber Madame Elise ließ mich in einem Kämmerchen unter der Treppe schlafen, solange ich ruhig war. Und gegen Morgen, wenn die ganzen Männer gegangen waren, kam ich heraus, und manchmal teilten die Damen ihr Frühstück mit mir. Ich half ihnen oft beim Anziehen, mit all den kleinen Verschlüssen - sie sagten, niemand sei so geschickt wie ich«, fügte er stolz hinzu, »und ich kämmte ihnen das Haar, wenn sie es wünschten.«
    »Mhm.« Das leise Geräusch der Bürste, die durch mein Haar glitt, wirkte hypnotisch. Da die Uhr auf dem Kaminsims stillstand, wußte ich nicht, wie spät es war, aber die Stille draußen auf den Straßen verriet, daß es tiefe Nacht sein mußte.
    »Wie kam es, daß du bei Madame Elise übernachten durftest, Fergus?« fragte ich mit mühsam unterdrücktem Gähnen.
    »Ich bin dort geboren, Madame«, gab er zur Antwort. Seine Bewegungen verlangsamten sich, und seine Stimme wurde schläfrig. »Ich habe mich immer gefragt, welche der Damen meine Mutter ist, aber ich habe es nie herausgefunden.«

    Ich wurde wach, als sich die Tür des Salons öffnete. Im grauen Licht des frühen Morgens sah ich Jamie. Trotz seiner Blässe und der müden, geröteten Augen hatte er ein Lächeln auf den Lippen.
    »Ich hatte Angst, daß du nicht wiederkommst«, sagte ich, als er einen Augenblick später seinen Kopf an meiner Brust barg. Sein Haar roch nach abgestandenem Rauch und Talgkerzen, und mit seinem Rock war nun wirklich kein Staat mehr zu machen. Aber ich spürte seine Wärme und Nähe, was kümmerte mich da der Geruch seiner Haare.
    »Ich auch«, sagte er leise, und ich ahnte sein Lächeln. Er drückte mich fest an sich, dann ließ er mich los, setzte sich auf und strich mir die Locken aus dem Gesicht.
    »Mein Gott, bist du schön«, sagte er zärtlich. »Unfrisiert, unausgeschlafen, mit offener Mähne. Süße Geliebte. Hast du die ganze Nacht hier gesessen?«
    »Ich bin nicht die einzige.« Ich deutete auf den Boden, wo sich Fergus auf dem Teppich zusammengerollt hatte. Sein Kopf lag auf einem Kissen zu meinen Füßen. Der Junge bewegte sich im Schlaf, und sein voller, rosiger Kindermund war ein wenig geöffnet.
    Jamie legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.
    »Komm, mein Kleiner. Du hast deine Herrin gut bewacht.« Er nahm den Jungen hoch, legte ihn an seine Schulter und murmelte: »Du bist ein guter Mann, Fergus, du hast dir deinen Schlaf verdient. Komm jetzt ins Bett.« Überrascht riß Fergus die Augen auf, dann fielen sie ihm wieder zu, und er entspannte sich und nickte wieder ein.
    Als Jamie in den Salon zurückkehrte, hatte ich die Fensterläden geöffnet und das Feuer wieder angefacht. Abgesehen von dem verdorbenen Rock, den er abgelegt hatte, trug er noch die eleganten Kleider vom Vorabend.
    »Hier.« Ich reichte ihm ein Glas Wein, das er stehend in drei Zügen leerte. Er schüttelte sich, sank auf das kleine Sofa und hielt mir den Becher zum Nachfüllen hin.
    »Du bekommst keinen Tropfen«, erklärte ich, »bis du mir erzählt hast, was los ist. Du bist nicht im Gefängnis, also vermute ich, daß alles in Ordnung ist, aber -«
    »Nicht in Ordnung, Sassenach«, fiel er mir ins Wort, »aber es könnte schlimmer sein.«
    Nach langem Hin und Her - und endlosen Tiraden seitens Mr.
Hawkins’, der immer wieder seinen ersten Eindruck schilderte - entschied der mürrische Richter, den man aus dem warmen Bett geholt hatte, um die improvisierte Untersuchung zu leiten, daß Alex

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