Die Geliehene Zeit
ließ den Dolch verschwinden. Wortlos machte er kehrt und bahnte sich seinen Weg die Treppe hinunter, wobei er die vor ihm Stehenden hinunterdrängte und mit lauter Stimme zum Gehen aufforderte.
Doch ungeachtet dieser Anstrengungen brach der Großteil der Gäste erst auf, als die Leibgarde des Königs eintraf.
Kaum hatte sich Mr. Hawkins erholt, zeigte er Jamie, den er der Entführung und Kuppelei bezichtigte, an. Einen Augenblick lang dachte ich, Jamie würde ihn erneut niederschlagen. Schon schwollen die Muskeln unter dem azurblauen Samt, doch dann besann er sich eines Besseren.
Nach einigem Hin und Her, verworrenen Beschuldigungen und Erklärungen ließ sich Jamie schließlich ins Hauptquartier der Leibgarde in der Bastille abführen, wo sich die Sache - vielleicht - aufklären würde.
Der bleiche, schwitzende Alex Randall, der offensichtlich keine Ahnung hatte, was eigentlich los war, wurde ebenfalls festgenommen. Der Herzog, sein Arbeitgeber, überließ den Sekretär seinem Schicksal - er hatte unauffällig seine Kutsche vorfahren lassen und war noch vor dem Eintreffen der Leibgarde verschwunden. Ganz gleich, in welcher diplomatischen Mission er unterwegs war, die Verwicklung in einen Skandal wäre ihm nicht dienlich gewesen. Die immer noch bewußtlose Mary Hawkins wurde ins Haus ihres Onkels gebracht.
Ich selbst entging nur knapp der Festnahme, denn Jamie lehnte dieses Ansinnen schlichtweg ab, da ich guter Hoffnung sei und ein Gefängnisaufenthalt keinesfalls in Frage käme. Als der Hauptmann der Leibgarde erkannte, daß Jamie durchaus bereit war, um dieser Sache willen weitere Männer niederzuschlagen, gab er schließlich nach, aber nur unter der Bedingung, daß ich versprach, die Stadt nicht zu verlassen. Der Gedanke, aus Paris zu fliehen, hatte zwar einiges für sich, aber ich konnte wohl kaum ohne Jamie abreisen, also gab ich ohne Zögern meine parole d’honneur .
In dem allgemeinen Durcheinander, das in der Halle herrschte, sah ich Murtagh, der mit zerschundenem Gesicht und grimmiger Miene am Rande der Menge wartete. Offenbar beabsichtigte er, Jamie zu begleiten, wo immer er hinging, und ich fühlte mich erleichtert. Wenigstens war mein Mann nicht allein.
»Mach dir keine Sorgen, Sassenach.« Jamie umarmte mich hastig und flüsterte mir ins Ohr: »Ich bin beizeiten wieder da. Wenn etwas schiefgeht...« Er zögerte, dann sagte er fest: »Es wird nicht nötig sein, aber wenn du eine Freundin brauchst, geh zu Louise de La Tour.«
»Das werde ich.« Es blieb uns nur Zeit für einen flüchtigen Kuß, bevor ihn die Wachen abführten.
Die Haustür öffnete sich, und ich sah, wie sich Jamie umwandte, Murtagh erblickte und den Mund öffnete, als wollte er ihm etwas sagen. Murtagh legte die Hände an sein Schwertgehenk und bahnte sich mit entschlossener Miene einen Weg zu Jamie, wobei er Duverney den Jüngeren fast auf die Straße stieß. Es folgte ein kurzer, stummer Machtkampf, der nur mit wütenden Blicken ausgetragen wurde. Schließlich zuckte Jamie die Schultern und hob resigniert die Hände.
Er trat auf die Straße hinaus, ohne sich um die Wachleute zu kümmern, die ihn von allen Seiten bedrängten. Doch als er am Tor eine kleine Gestalt erblickte, hielt er inne. Er beugte sich hinunter, sagte etwas, und als er sich aufrichtete, sah er sich noch einmal lächelnd zu mir um. Im Laternenlicht konnte ich sein Gesicht genau erkennen. Er nickte auch Monsieur Duverney dem Älteren zu, stieg in die wartende Kutsche - Murtagh war hinten aufgesprungen -, und fort waren sie.
Fergus stand auf der Straße und schaute der Kutsche nach, bis sie in der Dunkelheit verschwand. Dann kam er festen Schritts die Treppe herauf, nahm mich an der Hand und führte mich ins Haus.
»Kommen Sie, Madame«, sagte er. »Der Herr hat gesagt, ich soll mich um Sie kümmern, bis er wieder da ist.«
Fergus schlüpfte nun in den Salon und schloß geräuschlos die Tür hinter sich.
»Ich habe meinen Rundgang durchs Haus gemacht, Madame«, flüsterte er. »Alles in Ordnung.« Trotz meines Kummers mußte ich bei seinem Tonfall lächeln, denn er ahmte unüberhörbar Jamie nach. Sein Idol hatte ihn mit einer Aufgabe betraut, und offensichtlich nahm er seine Pflichten ernst.
Er hatte mich in den Salon begleitet und anschließend seine Runde durchs Haus gemacht, wie Jamie es jeden Abend tat, um zu prüfen, ob die Feuer mit Asche bedeckt und die Riegel an den
Fensterläden und die Querbalken an den Außentüren - die Fergus kaum
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