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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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vor Jamie nieder. Der musterte ihn verblüfft.
    Der drahtige kleine Mann zog den Dolch aus dem Gürtel und streckte ihn Jamie mit dem Griff voran entgegen. Murtaghs zerfurchtes Gesicht war ausdruckslos, und sein eines schwarzes Auge blickte unerschütterlich auf Jamie.
    »Ich habe dich enttäuscht«, sagte der kleine Mann ruhig. »Und ich bitte dich als meinen Anführer, jetzt mein Leben hinzunehmen, damit ich nicht länger mit der Schande leben muß.«
    Jamie richtete sich langsam auf, und ich spürte, wie er seine Müdigkeit verdrängte, als er den Blick auf seinen Gefolgsmann richtete. Eine Weile saß er wortlos da. Dann streckte er eine Hand aus und berührte die dunkelrote Beule auf Murtaghs Stirn.
    »Es ist keine Schande, in der Schlacht zu fallen, mo caraidh ,« sagte er leise. »Auch der größte Krieger erlebt einmal eine Niederlage.«
    Aber Murtagh schüttelte störrisch den Kopf, das Auge unverwandt auf Jamie gerichtet.
    »Nein«, sagte er. »Ich bin nicht in der Schlacht gefallen. Du hast mir deine Frau und euer ungeborenes Kind anvertraut, und ebenso das englische Mädel. Und ich habe meine Pflicht so mißachtet, daß ich in der Stunde der Gefahr nicht einmal Gelegenheit hatte, einen Streich zu führen. Um die Wahrheit zu sagen, ich sah nicht einmal die Hand, die mich niederschlug.« Bei diesen Worten blinzelte er zum erstenmal.
    »Verrat -«, begann Jamie.
    »Und schau, wohin es geführt hat«, unterbrach ihn Murtagh. Seit ich ihn kannte, hatte ich ihn noch nie eine so lange Rede halten hören. »Dein guter Name besudelt, deine Frau überfallen, und das Mädelchen...« Er kniff die schmalen Lippen zusammen und schluckte. »Allein deswegen schnürt mir die Reue die Kehle zu.«
    »Aye«, sagte Jamie leise und nickte. »Aye, das verstehe ich, Mann. Das empfinde ich auch.« Er legte die Hand aufs Herz. Sie sprachen, als wären sie allein miteinander. Ihre Köpfe berührten sich fast, als sich Jamie zu Murtagh vorbeugte. Ich hatte die Hände im Schoß gefaltet und saß reglos da. Diese Sache mußten sie unter sich ausmachen.

    »Aber ich bin nicht dein Anführer, Mann«, fuhr Jamie mit festerer Stimme fort. »Du hast mir keinen Eid geleistet, und ich habe keine Macht über dich.«
    »Doch, das hast du.« Murtaghs Stimme zitterte ebensowenig wie der Griff des Dolchs.
    »Aber -«
    »Ich habe meinen Eid geschworen, Jamie Fraser, als du noch keine Woche alt warst - ein gesunder Junge an der Brust deiner Mutter.«
    Ich sah, wie sich Jamies Augen vor Verblüffung weiteten.
    »Ich kniete zu Ellens Füßen, wie ich jetzt hier vor dir knie«, fuhr der kleine Clansmann mit hocherhobenem Kinn fort. »Und ich habe ihr beim dreifaltigen Gott geschworen, daß ich dir stets folgen würde, um zu tun, was du befiehlst, und dir den Rücken freizuhalten, wenn du zum Mann herangewachsen wärst und solche Dienste brauchtest.« Bei diesen Worten wurde die rauhe Stimme weich, und das Lid schloß sich über dem müden Auge.
    »Aye, mein Junge. Ich liebe dich, als wärst du mein eigener Sohn. Aber ich habe dir die Treue gebrochen.«
    »Das hast du nie getan und könntest es nie tun.« Jamie nahm Murtagh fest bei den Schultern. »Nein, ich will dein Leben nicht, weil ich dich noch brauche. Aber ich will dir einen Eid abverlangen, und du wirst ihn leisten.«
    Nach einem endlosen Augenblick des Zögerns nickte der rabenschwarze Kopf unmerklich.
    Jamie sprach nun noch leiser. Er streckte die drei mittleren Finger der rechten Hand aus und legte sie auf das Heft des Dolchs.
    »Ich beauftrage dich also bei dem Eid, der dich an mich bindet, und dem Wort, das du meiner Mutter gegeben hast - finde die Männer. Jage sie, und wenn Sie gefunden sind, beauftrage ich dich, die Rache zu üben, die der Ehre meiner Frau - und Mary Hawkins’ Unschuld gebührt.«
    Er hielt inne, dann zog er die Hand zurück.
    Der Clansmann erhob den Dolch. Nun nahm er zum erstenmal meine Anwesenheit zur Kenntnis, verbeugte sich vor mir und sagte: »Was der Herr gesagt hat, Herrin, das werde ich tun. Ich werde Rache üben um deinetwillen.«
    Ich leckte mir die trockenen Lippen und wußte nicht, was ich
sagen sollte. Doch es schien keine Antwort notwendig zu sein. Murtagh führte den Dolch an die Lippen und küßte ihn. Dann richtete er sich entschlossen auf und steckte die Waffe zurück in die Scheide.

20
    La Dame Blanche
    Als wir uns endlich umgezogen hatten und aus der Küche das Frühstück heraufgebracht wurde, war die Dämmerung dem Tag gewichen.
    »Eines wüßte

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