Die Geliehene Zeit
Amphibienlächeln wurde noch breiter.
»Ich habe gehört, daß seine Hoheit in letzter Zeit häufig bei den Docks anzutreffen ist - selbstverständlich, um mit seinem neuen Partner zu sprechen. Und er sieht sich die Schiffe an, die vor Anker liegen - so schön, so schnell, so... teuer. Schottland liegt doch jenseits des Meeres, wenn ich mich nicht irre?«
»In der Tat«, meinte ich. Ein Lichtstrahl ließ das Quecksilber aufleuchten und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die tiefer stehende Sonne. Ich mußte gehen.
»Ich danke Ihnen«, sagte ich. »Werden Sie mich benachrichtigen, wenn Sie etwas hören?«
Er neigte huldvoll sein imposantes Haupt, so daß sein Haar wie Quecksilber in der Sonne glänzte. Doch dann blickte er rasch wieder auf.
»Halt! Fassen Sie das Quecksilber nicht an, Madonna!« rief er,
als ich die Hand nach einem Tröpfchen ausstreckte, das auf die Tischkante zurollte. »Es verbindet sich sofort mit jedem Metall, mit dem es in Berührung kommt.« Er beugte sich über den Tisch und schubste das Kügelchen behutsam in seine Richtung. »Sie wollen sich doch gewiß nicht Ihre schönen Ringe verderben.«
»Stimmt«, sagte ich. »Ich muß zugeben, daß Sie sich bisher sehr hilfsbereit gezeigt haben. In letzter Zeit hat niemand versucht, mich zu vergiften. Und ich vermute, daß Sie und Jamie es verhindern werden, wenn man mich auf dem Place de la Bastille wegen Hexerei verbrennen will, oder?« fragte ich leichthin, obwohl mir das Diebesloch und der Prozeß in Cranesmuir noch lebhaft in Erinnerung waren.
»Gewiß«, entgegnete er mit Würde. »In Paris wurde seit... mindestens zwanzig Jahren niemand mehr wegen Hexerei verbrannt. Sie können völlig unbesorgt sein. Solange Sie niemanden ermorden«, fügte er hinzu.
»Ich werde mein Bestes tun«, erwiderte ich und stand auf, um mich zu verabschieden.
Fergus trieb eine Droschke für mich auf, und ich nutzte die kurze Fahrt zum Haus der Hawkins’, um über die jüngsten Entwicklungen nachzudenken. Wahrscheinlich hatte mir Raymond tatsächlich einen Gefallen getan, als er Jamies verrückte Geschichte unter seinen abergläubischen Kunden weiterverbreitete, obwohl mir die Vorstellung, daß mein Name bei Seancen und auf schwarzen Messen fiel, ganz und gar nicht schmeckte.
Dann ging mir auf, daß ich, abgelenkt durch Mutmaßungen über Könige, Schwerter und Schiffe, vergessen hatte, Maitre Raymond nach seinen Kontakten zum Comte de St. Germain zu fragen.
Nach allem, was man hörte, war der Comte eine zentrale Figur in jenen mysteriösen »Kreisen«, die Raymond erwähnt hatte. Als Kollege oder als Rivale? Und erreichten die Wellen, die jene Kreise schlugen, auch das Königsschloß? Louis interessierte sich angeblich für Astrologie. War es denkbar, daß durch die dunklen Kanäle von Kabbalismus und Zauberei eine Verbindung zwischen Louis, dem Comte und Charles Stuart bestand?
Um Alkoholdünste und sinnlose Fragen zu vertreiben, schüttelte ich ungeduldig den Kopf. Fest stand lediglich, daß der Comte eine
gefährliche Partnerschaft mit Charles Stuart eingegangen war, und das bereitete mir im Augenblick genug Kopfzerbrechen.
Das Haus der Familie Hawkins in der Rue Malory war ein ansehnliches dreistöckiges Gebäude, doch daß die Dinge nicht ihren gewohnten Lauf nahmen, offenbarte sich auch dem zufälligen Beobachter. Trotz der Wärme waren alle Fensterläden fest verschlossen, um neugierige Blicke abzuwehren. Niemand hatte an diesem Morgen die Stufen geschrubbt, so daß die Abdrücke schmutziger Schuhe den weißen Stein verunstalteten. Weder Köchin noch Hausmädchen ließen sich auf der Straße blicken, um mit den Straßenhändlern zu feilschen oder zu tratschen. In diesem Haus hatte man sich gegen drohendes Unheil verbarrikadiert.
Ungeachtet meines fröhlichen gelben Kleides fühlte ich mich wie ein Unglücksbote, als ich Fergus die Stufen hinaufschickte, um für mich zu klopfen. Es kam zu einem Wortwechsel zwischen Fergus und der Person, die die Tür öffnete, aber zu Fergus’ guten Eigenschaften zählte die Unfähigkeit, sich mit einem Nein abzufinden. Kurze Zeit später stand ich einer Frau gegenüber, bei der es sich offenbar um die Hausherrin, also Marys Tante handelte.
Allerdings hatte ich meine Schlüsse selbst ziehen müssen, da die Frau viel zu aufgewühlt war, um mir so handfeste Informationen wie ihren Namen zu liefern.
»Aber wir können niemanden empfangen!«rief sie immer wieder und wan verstohlene Blicke über die Schulter, als
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