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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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gegen ihr Bedürfnis an, sich mir anzuvertrauen.
    »Was hast du auf dem Herzen?« fragte ich so sachlich wie möglich.
    »Bekomme ich jetzt ein Kind?« platzte sie heraus und sah mich angstvoll an. »Du hast gesagt...«
    »Nein«, entgegnete ich, so fest ich konnte. »Du bekommst keins. Er wurde nicht... fertig.« Unter den Falten meines Rockes kreuzte ich die Finger beider Hände. Ich hoffte inständig, daß ich recht hatte. Die Gefahr war äußerst gering, aber angeblich war dergleichen schon vorgekommen. Doch es hatte keinen Sinn, Mary wegen einer vagen Möglichkeit noch mehr zu beunruhigen. Bei der Vorstellung wurde mir übel. Ich schob den Gedanken beiseite; spätestens in einem Monat würden wir Bescheid wissen.
    »Hier ist es heiß wie in einem Backofen«, bemerkte ich und löste die Bänder an meinem Hals, um Luft zu bekommen. »Und verraucht wie im Vorzimmer der Hölle, wie mein alter Onkel zu sagen pflegte.« Da ich im Augenblick nicht die rechten Worte fand,
machte ich einen Rundgang durchs Zimmer, zog die Vorhänge zurück und öffnete die Fenster.
    »Tante Helen meint, ich darf mich nirgends blicken lassen.« Mary hatte sich auf die Fersen gesetzt und beobachtete mich. »Sie sagt, ich s-sei entehrt, und die Leute auf der Straße würden mit Fingern auf mich zeigen, wenn ich ausgehe.«
    »Vielleicht tun sie das, die Geier.« Ich hatte nun alle Fenster geöffnet und kehrte zu Mary zurück. »Aber das heißt nicht, daß du dich lebendig begraben lassen und dabei auch noch ersticken mußt.« Ich setzte mich neben sie, lehnte mich zurück und spürte, wie mir die frische Luft durchs Haar strich und den Rauch vertrieb.
    Mary schwieg lange Zeit und spielte mit den Kräuterpäckchen auf dem Tisch. Als sie mich schließlich ansah, lächelte sie tapfer, obwohl ihre Unterlippe zitterte.
    »Jetzt muß ich wenigstens n-nicht den Vicomte heiraten. Mein Onkel sagt, daß er mich nicht mehr will.«
    »Nein, vermutlich nicht.«
    Sie nickte und betrachtete das quadratische Gazepäckchen auf ihren Knien. Nervös spielte sie an der Schnur herum, so daß sich ein Ende löste und ein paar Brösel Goldrute auf die Bettdecke fielen.
    »Ich habe... öfter d-darüber nachgedacht. Über das, was du mir erzählt hast, wie ein M-mann...« Sie hielt inne und schluckte. Ich sah, wie eine Träne auf die Gaze fiel. »Ich glaubte nicht, daß ich es mit dem Vicomte hätte tun können. Jetzt ist es g-geschehen... und n-niemand kann es rückgängig machen, und ich werde es n-nie wieder tun müssen... und... und... o Claire, Alex wird nie wieder mit mir sprechen! Ich werde ihn nie wiedersehen, nie!«
    Hysterisch weinend sank sie mir in die Arme. Ich drückte sie an mich, streichelte ihren Rücken und redete beruhigend auf sie ein. Dabei vergoß ich selbst ein paar Tränen, die unbemerkt auf Mary dunkles glänzendes Haar fielen.
    »Du wirst ihn wiedersehen«, flüsterte ich. »Natürlich siehst du ihn wieder. Für ihn hat sich nichts geändert. Er ist ein guter Mensch.«
    Aber ich wußte, daß sich für ihn sehr wohl etwas geändert hatte. In der vergangenen Nacht hatte ich den Schmerz in Alex Randalls Augen gesehen und geglaubt, ihn bewege das gleiche hilflose
Mitleid mit allen Gepeinigten wie Jamie und Murtagh. Aber seit ich von Alex Randalls Liebe zu Mary wußte, war mir klar, um wieviel tiefer sein Schmerz - und seine Angst - gehen mußten.
    Er schien ein guter Mensch zu sein. Aber er war auch ein mittelloser jüngerer Sohn, von schwacher Gesundheit und mit schlechten Berufsaussichten. Die Stellung, die er innehatte, verdankte er einzig und allein dem guten Willen des Herzogs von Sandringham. Und ich wagte nicht zu hoffen, daß der Herzog es billigen würde, wenn sein Sekretär ein entehrtes Mädchen ohne gesellschaftliche Beziehungen und ohne Mitgift zur Frau nahm.
    Und wenn Alex den Mut aufbrachte und sie trotz allem heiratete, welche Chance hatten sie dann noch - ohne einen roten Heller, von der guten Gesellschaft ausgestoßen und mit dem grausamen Wissen um die Vergewaltigung, das ihr gemeinsames Leben überschatten würde?
    Für Mary konnte ich nicht mehr tun, als sie festzuhalten und mit ihr um das Verlorene zu weinen.
     
    Als ich ging, war die Dämmerung hereingebrochen; über den Schornsteinen blinkten die ersten Sterne. In der Tasche hatte ich einen Brief von Marys Hand, ordnungsgemäß von Zeugen bestätigt, in dem sie die Ereignisse der vergangenen Nacht schilderte. Sobald das Schreiben den zuständigen Behörden übermittelt

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