Die Geliehene Zeit
Gefühlen entgegengesehen. Schließlich hatte unser letzter Besuch zur Festnahme Jonathan Randalls geführt, nachdem ich ihn der versuchten Vergewaltigung bezichtigt hatte. Aber der Herzog war auf diesem Ausflug die Liebenswürdigkeit in Person und erwähnte die Gebrüder Randall mit keinem Wort. Auch die Verhaftung war nicht zur Sprache gekommen; welcher Natur die diplomatischen Bemühungen des Herzogs auch sein mochten, ihnen wurde solche Wichtigkeit beigemessen, daß sie unter dem Siegel königlicher Verschwiegenheit standen.
Alles in allem empfand ich Erleichterung darüber, daß sich der Herzog zu uns gesellt hatte. Zum einen hinderte seine Gegenwart die verwegeneren unter den Damen daran, mich zu fragen, was die Schotten unter ihrem Rock trugen. Angesichts der Stimmung, die hier herrschte, wäre ich mit meiner gewohnten Antwort »Oh, das übliche« wohl nicht davongekommen.
»Ihr Gemahl hat ein Auge für Pferde«, bemerkte der Herzog, als ihn seine andere Nachbarin, die Duchesse de Neve, freigab und sich über die Decke beugte, um mit Madame Prudhomme zu plaudern. »Er sagt, daß sowohl sein Vater als auch sein Onkel kleine, aber gute Gestüte in den Highlands hielten.«
»Ja, das stimmt.« Ich nippte an meinem Wein. »Aber Ihr habt Colum MacKenzie doch auf Burg Leoch besucht. Gewiß habt Ihr seinen Stall selbst gesehen.« Ich hatte den Herzog bereits im Vorjahr auf Leoch kennengelernt, auch wenn die Begegnung nur flüchtig gewesen war. Er war zu einem Jagdausflug aufgebrochen, kurz bevor ich wegen Hexerei in das Diebesloch geworfen wurde. Falls er, was ich vermutete, davon gehört hatte, ließ er es sich nicht anmerken.
»Selbstverständlich.« Die schlauen blauen Auglein des Herzogs huschten nach rechts und links, um zu sehen, ob er beobachtet wurde. Dann begann er Englisch zu sprechen. »Damals hat mir Ihr Gemahl mitgeteilt, daß er nicht auf seinen eigenen Besitzungen lebt, und zwar aufgrund einer unseligen - und irrtümlichen - Anklage wegen Mordes, die von der englischen Krone gegen ihn erhoben wurde. Ich frage mich, ob er nach wie vor unter Acht und Bann steht?«
»Es ist immer noch ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt«, entgegnete ich freiheraus.
Der höflich interessierte Gesichtsausdruck des Herzogs blieb unverändert. Geistesabwesend nahm er sich ein Würstchen.
»Das ließe sich wieder einrenken«, sagte er gelassen. »Nachdem ich Ihrem Gatten auf Leoch begegnet bin, habe ich Erkundigungen eingezogen - oh, hinreichend diskret, das versichere ich Ihnen, meine Verehrteste. Und ich glaube, daß die Angelegenheit ohne Schwierigkeiten beigelegt werden könnte - durch ein Wort zur rechten Zeit ins rechte Ohr.«
Das war interessant. Colum MacKenzie hatte Jamie damals geraten, dem Herzog von Sandringham von seiner Ächtung zu erzählen, in der Hoffnung, der Herzog würde etwas für ihn tun. Da Jamie das fragliche Verbrechen tatsächlich nicht begangen hatte, lagen wohl kaum Beweise gegen ihn vor. Vielleicht konnte der Herzog dank seiner einflußreichen Stellung wirklich dafür sorgen, daß man die Anklage fallenließ.
»Warum solltet Ihr das tun?« fragte ich. »Was verlangt Ihr als Gegenleistung?«
Die hellblonden Augenbrauen hoben sich ruckartig, und sein Lächeln entblößte kleine, ebenmäßige Zähne.
»Meiner Treu, Sie nehmen kein Blatt vor den Mund! Könnte es nicht einfach sein, daß ich den Rat Ihres Gatten bei der Auswahl der Pferde zu schätzen weiß und ihm daher wieder zu einem Rang verhelfen möchte, in dem er seine Kenntnisse nutzbringend einsetzen kann?«
»Es könnte sein, ist aber nicht der Fall.« Da ich Madame Prudhommes forschenden Blick bemerkte, lächelte ich den Herzog liebenswürdig an. »Warum also?«
Er steckte sich das Würstchen ganz in den Mund und kaute bedächtig. Sein fröhliches rundes Gesicht verriet nichts außer seiner
Freude an der Landpartie und am Essen. Schließlich schluckte er und betupfte sich den Mund mit einer Leinenserviette.
»Lassen Sie mich doch einmal eine reine Vermutung aussprechen«, sagte er.
Ich nickte, und er fuhr fort: »Wir wollen einmal unterstellen, daß Ihr Gemahl mit einer bestimmten Persönlichkeit Freundschaft geschlossen hat, die unlängst aus Rom eingetroffen ist? Ah, ich sehe, wir verstehen uns. Ja. Wollen wir einmal unterstellen, daß diese Freundschaft gewissen Personen Sorge bereitet, die es lieber sehen würden, wenn genannte Persönlichkeit wieder friedlich nach Rom zurückkehren - oder sich in Frankreich niederlassen
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