Die Geliehene Zeit
mich umdrehte, sah ich Jamie, der über meinen Kopf hinweg das sich rasch nähernde Pferd anstarrte.
»Solltest du ihn nicht besser runterholen?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das erledigt das Pferd selbst.«
Tatsächlich schien das Tier ob der seltsamen Last auf seinem Rücken eher verwundert denn ängstlich. Das graugescheckte Fell zuckte und zitterte, wie um einen Fliegenschwarm zu vertreiben, und das Fohlen schüttelte verwirrt den Kopf.
Fergus’ Beine waren über dem breiten Rücken des Percheron nahezu gegrätscht. Offensichtlich konnte er sich nur oben halten, weil er sich eisern an der Mähne festklammerte. Gewiß wäre es ihm gelungen, sich mehr oder weniger unverletzt heruntergleiten zu lassen, hätten die Opfer der Mistschlacht nicht beschlossen, sich zu rächen.
Ein paar Stallburschen folgten dem Pferd in vorsichtigem Abstand und versperrten ihm den Rückweg. Ein weiterer war vorausgerannt und öffnete das Tor zu einer leeren Koppel. Das Tor befand sich zwischen der Besuchergruppe und dem Wegende bei den Gebäuden. Zweifellos hatten die Burschen vor, das Pferd in aller Ruhe in die Koppel zu lotsen, wo es nach Belieben auf Fergus herumtrampeln konnte, selbst aber weder entwischen noch Schaden nehmen würde.
Bevor es jedoch soweit war, streckte ein besonders gewitzter Bursche den Kopf aus einem kleinen Speicherfenster hoch über dem Weg. Da sich die Beobachter auf das Pferd konzentrierten, bemerkte ihn niemand außer mir. Der Junge peilte die Lage, verschwand und tauchte wenig später mit einer Ladung Heu im Arm wieder auf. Er paßte den richtigen Augenblick ab und ließ sie fallen, als Fergus und sein Pferd unter ihm vorbeikamen.
Die Wirkung war umwerfend. Wo Fergus gewesen war, sah man nur noch eine Wolke von Heu, das Fohlen wieherte in wilder Panik,
stieg auf die Hinterhand und machte sich davon wie ein Favorit beim Derby. Es hielt direkt auf die Schar der Höflinge zu, die schnatternd auseinanderstob.
Jamie hatte sich auf mich gestürzt, mich aus dem Weg gestoßen und dabei zu Boden geworfen. Unter einer Sturzflut gälischer Flüche stand er wieder auf und rannte in die Richtung, die Fergus genommen hatte.
Voller Panik bäumte sich das Pferd auf, um sich die Knechte und Stallburschen vom Leib zu halten, die bei dem Gedanken, eines der wertvollen Pferde des Königs könnte vor ihren Augen Schaden nehmen, ihre berufsmäßige Gelassenheit eingebüßt hatten.
Dank seiner Dickköpfigkeit - oder aus Angst - hatte sich Fergus oben halten können, und seine mageren Beine flogen durch die Luft, während er auf dem Pferderücken hin und her rutschte und wie ein Ball hochhüpfte. Die Knechte riefen ihm zu, er solle loslassen, doch diesen Rat ignorierte er und klammerte sich statt dessen an die rettenden Pferdehaare. Einer der Knechte hielt eine Mistgabel in der Hand, die er drohend durch die Luft schwenkte, was Madame Montresor einen Schreckensschrei entlockte, da sie offenbar dachte, er wolle das Kind aufspießen.
Der Schrei trug nicht dazu bei, das Tier zu beruhigen. Es tänzelte und hüpfte und scheute vor den Menschen zurück, die es nun umringten. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, daß der Knecht Fergus tatsächlich vom Pferd stoßen wollte, aber es bestand die Gefahr, daß das Fohlen den Jungen zu Tode trampeln würde, wenn er herunterfiel. Plötzlich stürmte das Pferd auf eine Baumgruppe neben der Koppel zu, vielleicht, um vor dem Mob zu fliehen, vielleicht aber auch, weil es hoffte, den Inkubus auf seinem Rücken an einem Ast abstreifen zu können.
Als es die Bäume erreichte, erspähte ich einen roten Tartan im Gebüsch, und abermals blitzte es rot auf, als Jamie aus seinem Versteck hinter einem Baum hervorstürzte. Mit der Wucht seines ganzen Körpers rannte er in das Pferd und sank dann taumelnd zu Boden. Plaid und nackte Beine wirbelten durch die Luft, und ein aufmerksamer Beobachter hätte feststellen können, daß zumindest dieser Schotte nichts unter seinem Kilt trug.
Die Hofleute eilten sofort herbei, um sich des gestürzten Herrn von Broch Tuarach anzunehmen, während die Knechte das flüchtige Pferd jenseits der Bäume verfolgten.
Jamie lag rücklings unter den Buchen, das Gesicht totenbleich, Augen und Mund weit aufgerissen. Seine Arme umklammerten Fergus, der wie eine Klette an seiner Brust hing. Jamie zwinkerte mir zu, als ich auf ihn zustürmte, und bemühte sich um ein schwaches Lächeln. Ihm war zum Glück nur die Puste ausgegangen.
Als Fergus merkte,
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