Die Geliehene Zeit
daß er nicht mehr auf dem Pferd saß, hob er vorsichtig den Kopf. Dann setzte er sich kerzengerade auf den Bauch seines Dienstherrn und rief begeistert: »Das war ein Spaß, Herr! Können wir das noch mal machen?«
Jamie hatte sich bei der Rettungsaktion eine Muskelzerrung im Oberschenkel zugezogen und humpelte arg, als wir nach Paris zurückkehrten. Er schickte Fergus - dem weder die Eskapade noch die anschließende Schelte viel ausgemacht zu haben schien - zum Essen in die Küche, ließ sich in einen Sessel am Kamin fallen und rieb sein geschwollenes Bein.
»Tut es sehr weh?« erkundigte ich mich mitfühlend.
»Ein bißchen. Es braucht jetzt nur Ruhe.« Er dehnte und streckte sich genüßlich. »Ziemlich eng in der Kutsche. Ich wäre lieber geritten.«
»Mhm. Ich auch.« Ich rieb mir das Kreuz, das mir noch von der anstrengenden Reise weh tat. Der Schmerz setzte sich über das Becken bis in die Beine fort - vermutlich litten auch die Gelenke unter der Schwangerschaft.
Prüfend ließ ich die Hand über Jamies Bein gleiten, dann deutete ich auf die Chaiselongue.
»Komm, leg dich auf die Seite. Ich habe eine gute Salbe, mit der ich dir das Bein einreiben kann. Vielleicht lindert sie den Schmerz ein wenig.«
»Wenn es dir nichts ausmacht.« Er erhob sich steif, legte sich auf die linke Seite und zog den Kilt hoch.
Ich öffnete meinen Medizinkasten und kramte Schachteln und Gefäße heraus. Odermennig, ulmus rubra, Mauerkraut... ah, da war es. Ich zog ein kleines blaues Glasgefäß heraus, das mir Monsieur Forez überlassen hatte, schraubte den Deckel auf und schnupperte vorsichtig daran. Salben wurden leicht ranzig, aber diese war offenbar mit einer gehörigen Prise Salz haltbar gemacht worden. Der Geruch war ebenso angenehm wie die Farbe - das leuchtende Cremeweiß frischer Sahne.
Ich verteilte die Salbe auf dem langen Muskel des Schenkels, wobei ich Jamies Kilt bis zur Hüfte hochschob. Sein Bein fühlte sich warm an, nicht die Hitze einer Infektion, sondern nur die normale Wärme eines jungen gesunden Menschen. Ich massierte die Salbe sanft in die Haut ein, erfühlte die verhärtete Muskulatur und ertastete den Übergang zwischen Muskel und Kniesehne. Jamie gab ein leises Stöhnen von sich, als ich fester rieb.
»Tut’s weh?« fragte ich.
»Aye, ein bißchen, aber hör nicht auf«, sagte er. »Es tut mir gut, glaube ich.« Er kicherte. »Ich sage das nur dir, Sassenach, aber es hat wirklich Spaß gemacht. Ich bin seit Monaten nicht mehr so gerannt.«
»Schön, daß du dich amüsiert hast«, bemerkte ich trocken und nahm noch ein wenig Salbe. »Ich habe selbst auch etwas Interessantes erlebt.« Ohne in meiner Tätigkeit innezuhalten, erzählte ich ihm von Sandringhams Angebot.
Die Antwort war wiederum ein leises Stöhnen, als ich eine empfindliche Stelle berührte. »Also hatte Colum recht mit der Vermutung, daß mir der Mann helfen könnte, die Anklage gegen mich niederzuschlagen.«
»Sieht so aus. Ich vermute, die Frage ist - willst du ihn beim Wort nehmen?« Ich versuchte, nicht den Atem anzuhalten, während ich auf seine Antwort wartete. Zum einen wußte ich, wie sie ausfallen würde. Die Familie Fraser war für ihre Starrköpfigkeit berühmt, und obwohl er mütterlicherseits von den MacKenzies abstammte, war Jamie ein Fraser, wie er im Buche stand. Nachdem er sich einmal entschlossen hatte, Charles Stuart aufzuhalten, würde er sein Vorhaben nicht so schnell wieder aufgeben. Dennoch war das Angebot verlockend - für mich ebenso wie für ihn. Nach Schottland, in seine Heimat, zurückkehren zu können, in Frieden zu leben.
Aber die Sache hatte einen Haken. Wenn wir zurückkehrten und es zuließen, daß Charles seine Pläne weiterverfolgte, würde der Friede in Schottland nur von kurzer Dauer, sein.
Jamie schnaubte verächtlich; offenbar hatten sich seine Gedanken in eine ähnliche Richtung bewegt. »Nun, Sassenach, das eine sage ich dir. Wenn ich davon überzeugt wäre, daß Charles Stuart Erfolg haben und Schottland von der englischen Herrschaft befreien könnte, dann würde ich mein Land, meine Freiheit und mein
Leben geben, um ihm zu helfen. Auch wenn er ein Narr ist, so ist er doch ein königlicher Narr, und feige ist er auch nicht, wie ich meine.« Er seufzte.
»Aber ich kenne den Mann und habe mit ihm gesprochen - und mit allen Jakobiten, die an der Seite seines Vaters gekämpft haben. Du hast mir gesagt, was geschehen wird, wenn es zum Aufstand kommt... wenn ich das bedenke, habe ich
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