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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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anfühlte, griff ich nach meinem Glas. »Die Hinrichtung eines Verräters?« sagte ich, obgleich ich das Gefühl hatte, die Antwort lieber nicht hören zu wollen.
    »Hängen, Ausnehmen und Vierteilen«, erklärte Jamie kurz. »Das meinen sie doch, Monsieur Forez?«
    Der Henker nickte. Als müßte er sich dazu überwinden, stand Jamie auf und trat dem hageren, schwarzgekleideten Besucher entgegen. Da sie fast gleich groß waren, konnten sie sich ohne Schwierigkeiten in die Augen blicken. Monsieur Forez ging einen Schritt
auf Jamie zu. Plötzlich wirkte er gedankenverloren, als wollte er ansetzen, einen medizinischen Sachverhalt darzulegen.
    »O ja«, sagte er. »Ja, so wird ein Verräter hingerichtet. Zuerst muß der Mann gehängt werden, wie Sie sagen, aber mit Feingefühl, so daß das Genick nicht bricht und auch die Luftröhre keinen Schaden nimmt - der Tod durch Ersticken ist nicht das erwünschte Resultat, Sie verstehen?«
    »Oh, ich verstehe«, erwiderte Jamie leise, fast spöttisch. Verwundert sah ich ihn an.
    »Tatsächlich, Monsieur?« Monsieur Forez lächelte zurückhaltend, fuhr aber fort, ohne eine Antwort abzuwarten. »Hier gilt es, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen. Die Augen geben den Ausschlag. Das Gesicht läuft sogleich blutrot an - und infolge des Würgens tritt die Zunge aus dem Mund. Daran ergötzt sich die Menge natürlich ebenso wie an den hervorquellenden Augen. Aber als Scharfrichter muß man auf die Rötung in den Augenwinkeln achten, denn sie zeigt an, daß die kleinen Blutgefäße platzen. Wenn das geschieht, muß man ohne Zögern das Zeichen geben, den Verurteilten abzuschneiden - ein zuverlässiger Helfer ist dabei unverzichtbar, müssen Sie wissen.« Mit einer halben Drehung bezog er mich in das makabre Gespräch ein, und ich nickte unwillkürlich.
    »Dann», fuhr er wieder an Jamie gewandt fort, »sollte sofort ein anregendes Mittel verabreicht werden, um den Verurteilten wiederzubeleben, während ihm gleichzeitig das Hemd ausgezogen wird - man muß darauf bestehen, daß ein Hemd mit Knopfleiste bereitgestellt wird. Oft ist es schwierig, es über den Kopf zu ziehen.« Sein langer, schlanker Finger deutete auf den mittleren Knopf von Jamies Hemd, ohne jedoch das frischgestärkte Leinen zu berühren.
    »Das erscheint mir einleuchtend«, meinte Jamie.
    Monsieur Forez zog den Finger zurück und nickte beifällig.
    »Richtig. Der Gehilfe hat inzwischen bereits das Feuer entfacht. Solche Arbeiten sind unter der Würde des Scharfrichters. Und dann ist die Zeit für das Messer gekommen.«
    Tödliche Stille herrschte im Raum. Jamies Miene war immer noch undurchdringlich, aber sein Hals glänzte feucht.
    »Beim nächsten Schritt ist größtes Geschick erforderlich«, erklärte Monsieur Forez, den Finger mahnend erhoben. »Man muß schnell arbeiten, damit der Verurteilte nicht seinen Geist aushaucht,
bevor man fertig ist. Wenn man dem Stimulans ein Mittel beimischt, das die Blutgefäße zusammenzieht, gewinnt man etwas Zeit, aber nicht viel.«
    Er trat an den Tisch, auf dem er einen silbernen Brieföffner erblickt hatte, und nahm ihn in die Hand. Er umklammerte den Griff, drückte den Zeigefinger gegen die Klinge und richtete die Waffe gegen die glänzende Walnußplatte.
    »Genau da«, sagte er fast verträumt. »Unterhalb des Brustbeins. Und rasch bis hinunter zur Leistengegend. In den meisten Fällen ist das Schambein gut sichtbar. Und noch einmal«, der Brieföffner zuckte zur einen Seite, dann zur anderen, flink und grazil wie der Zickzackflug eines Kolibris, »dem Rippenbogen folgend. Man darf nicht zu tief schneiden, denn man will schließlich nicht den Sack verletzen, der die Eingeweide enthält. Dennoch muß man Haut, Fett und Muskeln durchtrennen, und zwar mit einem Schnitt. Dies«, erklärte er mit einem zufriedenen Blick auf die Tischplatte, die sein Spiegelbild reflektierte, »ist eine Kunst.«
    Behutsam legte er das Messer auf den Tisch und wandte sich wieder Jamie zu. Dabei zuckte er vergnügt die Achseln.
    »Was dann folgt, ist eine Frage der Schnelligkeit und Geschicklichkeit, aber wenn man bisher exakt gearbeitet hat, entstehen kaum Schwierigkeiten. Die Verdauungsorgane sind von einer Membran umhüllt wie von einem Sack. Wenn diese nicht versehentlich beschädigt wurde, ist die Sache einfach, es erfordert nur ein wenig Kraft, die Hände unter die Muskulatur zu zwängen und die gesamte Masse herauszuziehen. Ein rascher Schnitt am Magen und am Anus, und die gesamten Eingeweide

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