Die Geliehene Zeit
sondern glaubte Jamie einfach, daß es nötig war. Diese Verstellung war unumgänglich, solange wir in Frankreich operierten. Aber eben diese Verstellung würde Jamie als Verräter brandmarken, wenn er jemals englischen Boden betreten sollte.
Das hatte ich natürlich gewußt, aber in meiner Naivität hatte ich angenommen, daß zwischen dem Tod durch den Strang, die einen Geächteten erwartete, und der Hinrichtung eines Verräters kein großer Unterschied bestand. Monsieur Forez’ Besuch hatte mich eines Besseren belehrt.
»Du nimmst das verdammt gelassen hin«, sagte ich. Mein Herz hämmerte wie wild, meine Hände waren kalt und verschwitzt. Ich rieb sie mir am Kleid ab und schob sie zwischen die Knie, um sie zu wärmen.
Jamie zuckte die Achseln und lächelte mich schief an.
»Es gibt höllisch viele unangenehme Todesarten, Sassenach. Und wenn mir eine davon blüht, dann würde es mir nicht sonderlich behagen. Aber die Frage ist: Macht mir diese Aussicht so viel Angst, daß ich mich von meinem Vorhaben abbringen lasse?« Er setzte sich neben mich auf die Chaiselongue und nahm meine Hand in die seine. Sie war warm, und seine Nähe tat mir gut.
»Während jener Wochen, in denen ich mich in der Abtei erholte, habe ich es mir gründlich überlegt, Sassenach. Und dann wieder, als wir nach Paris kamen. Und noch einmal, als ich Charles Stuart kennenlernte.« Er schüttelte den Kopf und beugte sich über unsere ineinander verschlungenen Hände.
»Aye, ich sehe mich auf dem Schafott stehen. Ich sah die Galgen in Wentworth - hab’ ich dir das erzählt?«
»Nein, das hast du nicht.«
Er nickte. Mit gedankenverlorenem Blick vertiefte er sich in die Erinnerung.
»Man führte uns auf den Hof, uns, die Insassen der Todeszelle. Wir mußten uns nebeneinander aufstellen, um die Hinrichtung zu beobachten. An diesem Tag wurden sechs Männer gehängt. Männer, die ich kannte. Ich sah jeden einzelnen die Stufen hinaufsteigen - zwölf Stufen waren es - und mit gefesselten Händen dastehen und in den Hof hinunterstarren, während ihnen die Schlinge um den Hals gelegt wurde. Und ich fragte mich, wie ich es schaffen sollte, diese Stufen hinaufzusteigen, wenn ich an die Reihe käme. Würde ich weinen und beten wie John Sutter oder aufrecht stehen wie Willie MacLeod und einem Freund unten im Hof zulächeln?«
Plötzlich schüttelte er heftig den Kopf und lächelte mich bitter an. »Auf jeden Fall hat mir Monsieur Forez nichts erzählt, was ich nicht schon gewußt hatte. Aber es ist zu spät, mo duinne. « Er legte seine Hand auf meine. »Ja, ich habe Angst. Aber wenn mich die Hoffnung auf Heimat und Freiheit nicht zur Umkehr bewegt, dann wird es auch nicht die Furcht tun. Nein, mo duinne. Es ist zu spät.«
24
Der Bois de Boulogne
Es erwies sich, daß Monsieur Forez’ Besuch nur der erste einer Reihe merkwürdiger Zwischenfälle war.
»Unten wartet ein Italiener auf Sie, Madame«, teilte mir Magnus mit. »Seinen Namen wollte er nicht nennen.« Als ich den zusammengekniffenen Mund des Butlers sah, war mir klar, daß der Gast Magnus dafür mit einigen anderen Ausdrücken bedacht hatte.
Das reichte, um mir über die Identität des »Italieners« Aufschluß zu geben, und so war meine Überraschung gering, als ich den Salon betrat und Charles Stuart am Fenster stehen sah.
Er wirbelte herum, den Hut in der Hand, und war offensichtlich überrascht, mich zu sehen, denn er musterte mich mit offenem Mund. Doch er faßte sich rasch und verbeugte sich hastig.
»Der Herr von Broch Tuarach ist nicht zu Hause?« fragte er und zog mißvergnügt die Brauen zusammen.
»Nein«, erwiderte ich. »Darf ich Euch eine kleine Erfrischung anbieten, Hoheit?«
Neugierig sah er sich in dem vornehm ausgestatteten Salon um, schüttelte aber den Kopf. Soweit ich wußte, hatte er das Haus nur ein einziges Mal betreten, und zwar bei seiner Flucht über die Dächer. Weder er noch Jamie hielten es für ratsam, ihn zu unseren Abendgesellschaften einzuladen. Solange Louis ihn nicht offiziell empfing, würde sich der französische Adel nicht mit ihm abgeben.
»Nein, vielen Dank, Madame Fraser. Ich bleibe nicht lange, mein Diener wartet draußen, und ich habe noch einen weiten Weg bis nach Hause. Ich wollte meinen Freund James nur um einen Gefallen bitten.«
»Äh... ich bin überzeugt, daß mein Gatte Eurer Hoheit mit Freuden zu Diensten wäre - wenn es in seiner Macht steht«, antwortete ich bedächtig. Ich fragte mich, um welche Bitte es sich
handelte.
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