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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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behutsam hoch und wog es in der Hand. Für seine Größe war es leicht und roch leicht adstringierend.
    »Eine kleine Aufmerksamkeit von Mutter Hildegarde«, erklärte er. »Soviel ich weiß, ist es ein bevorzugtes Heilmittel der maitresses sage-femme. Sie hat auch Hinweise zur Anwendung mitgeschickt.« Er nahm ein gefaltetes, versiegeltes Briefchen aus seiner Innentasche und reichte es mir.
    Ich schnupperte an dem Päckchen. Himbeerblätter, Steinbrech und etwas, was ich nicht einordnen konnte. Ich hoffte, daß Mutter Hildegarde eine Liste der Zutaten beigelegt hatte.
    »Bitte danken Sie Mutter Hildegarde in meinem Namen«, sagte ich. »Wie geht es den anderen Helfern im Spital?« Ich vermißte
meine Arbeit dort ebenso wie die Nonnen und das buntgemischte Häuflein der Ärzte. Eine Weile plauderten wir über das Spital und seine Mitarbeiter, während Jamie ab und zu etwas einwarf, ansonsten aber höflich lächelnd zuhörte oder - wenn klinische Details erörtert wurden - seine Nase ins Weinglas steckte.
    »Wie schade«, meinte ich bedauernd, als Monsieur Forez seinen Bericht über die Behandlung eines zerschmetterten Schulterblatts abschloß. »Dabei habe ich noch nie zusehen können. Mir fehlt die chirurgische Arbeit.«
    »Ja, auch mir wird sie fehlen«, Monsieur Forez nickte und nippte an seinem Wein. Es war immer noch mehr als halb voll. Offenbar war die Bemerkung über seine Abstinenz kein Scherz gewesen.
    »Sie verlassen Paris?« fragte Jamie überrascht.
    Monsieur Forez zuckte die Achseln; die Falten seines langen Rockes raschelten wie Federn.
    »Nur für einige Zeit«, erklärte er. »Doch immerhin werde ich mindestens zwei Monate abwesend sein. Dies ist sogar, Madame«, wieder verbeugte er sich in meine Richtung, »der Hauptgrund für meinen heutigen Besuch.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich reise nach England, Sie verstehen, und mir kam der Gedanke, daß es mir keinerlei Umstände bereiten würde, eine Botschaft zu überbringen, wenn Sie es wünschen. Vorausgesetzt, es gibt eine Person, mit der Sie in Verbindung treten möchten«, präzisierte er.
    Ich warf Jamie einen Blick zu. Sein freundlich-interessierter Gesichtsausdruck war nun einer lächelnden Maske gewichen, die jeden Gedanken verbarg. Einem Fremden wäre der Unterschied nicht aufgefallen, mir aber schon.
    »Nein«, erwiderte ich zögernd. »Ich habe weder Freunde noch Verwandte in England. Ich fürchte, ich habe dort gar keine Bekannten mehr, seit ich - verwitwet bin.« Frank auf diese Weise zu erwähnen versetzte mir wie immer einen Stich, doch ich unterdrückte das Gefühl.
    Wenn Monsieur Forez diesen Umstand merkwürdig fand, so ließ er es sich nicht anmerken. Er nickte nur und stellte sein halbleeres Glas ab.
    »Ich verstehe. Welch glückliche Fügung, daß Sie wenigstens hier
Freunde besitzen.« Ich glaubte, eine Warnung aus seiner Stimme herauszuhören. Aber er sah mich nicht an, sondern beugte sich vor, um seinen Strumpf glattzuziehen, bevor er sich erhob. »Ich werde Sie bei meiner Rückkehr besuchen und hoffe, Sie auch dann wieder bei bester Gesundheit anzutreffen.«
    »Welche Geschäfte führen Sie nach England, Monsieur?« fragte Jamie unverblümt.
    Mit verhaltenem Lächeln drehte sich Monsieur Forez zu ihm um. Er legte den Kopf schief, seine Augen leuchteten, und wieder verblüffte mich seine Ähnlichkeit mit einem großen Vogel. Doch im Moment glich er nicht einer Rabenkrähe, sondern einem Raubvogel auf Beutezug.
    »Welche Geschäfte führen einen Mann meiner Profession ins Ausland, Monsieur Fraser?« fragte er. »Ich wurde beauftragt, meine üblichen Pflichten zu erfüllen, und zwar in Smithfield.«
    »Zweifellos ein wichtiger Anlaß«, sagte Jamie, »der es rechtfertigt, einen Mann Ihres Könnens kommen zu lassen.« Jamies Augen waren wachsam, während sein Gesicht nur höfliches Interesse zeigte.
    Monsineur Forez’ Augen funkelten. Bedächtig erhob er sich und blickte auf Jamie hinunter, der am Fenster saß.
    »Das ist wahr, Monsieur Fraser«, sagte er freundlich. »Denn es ist eine Frage des Könnens, seien Sie versichert. Einen Mann mit einem Seil erwürgen - pah! Das kann jeder. Ihm aber rasch und sauber das Genick zu brechen, dazu müssen Gewicht und Fall berechnet werden, und es bedarf einiger Erfahrung, will man den Strang richtig anlegen. Aber die Gratwanderung zwischen beiden Methoden, die fachgerechte Hinrichtung eines verurteilten Verräters, dazu ist großes Geschick vonnöten.«
    Da sich mein Mund plötzlich trocken

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