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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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himmelschreiend unkorrekten Wiedergabe des Ungeheuers von Loch Ness, das »Auld Lang Syne« sang, fragte ich mich, ob die gute Victoria wußte, was sie hier angerichtet hatte.
    Brianna schlenderte durch den schmalen Gang des Ladens und betrachtete staunend das Warensortiment, das von der Decke hing.
    »Glaubst du, die sind echt?« fragte sie und deutete auf eine Anzahl Hirschgeweihe, deren Enden vorwitzig aus einem Wald von Dudelsackpfeifen hervorragten.
    »Die Geweihe? O ja. Daß man es mit Plastik schon so weit gebracht hat, kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte ich. »Abgesehen
davon kannst du dich am Preis orientieren. Was mehr als hundert Pfund kostet, ist höchstwahrscheinlich echt.«
    Brianna sah mich an.
    »Du meine Güte! Ich glaube, ich kaufe Jane lieber ein Stück Schottenkaro für einen Rock.«
    »Ein guter Wollstoff kostet auch nicht weniger«, entgegnete ich trocken. »Nur läßt er sich besser im Flugzeug verstauen. Gehen wir in das Kiltgeschäft; dort gibt es die beste Qualität.«
    Es hatte - wie nicht anders zu erwarten war - zu regnen begonnen. Zum Glück hatte ich darauf bestanden, daß wir unsere Regenmäntel mitnahmen, und so konnten wir jetzt wenigstens unsere in Papier eingeschlagenen Päckchen darunter verbergen. Plötzlich lachte Brianna amüsiert auf.
    »Jetzt wundert es mich nicht mehr, daß die Regenmäntel von einem Schotten erfunden wurden«, meinte sie. »Regnet es hier immer?«
    »Häufig«, verbesserte ich und hielt nach herannahenden Autos Ausschau. »Allerdings muß Mr. Macintosh, der Erfinder, eher von der mimosenhaften Sorte gewesen sein, denn den meisten Schotten, die ich kannte, hat Regen nichts ausgemacht.« Rasch biß ich mir auf die Lippen, doch Brianna hatte diesen relativ unbedeutenden Ausrutscher nicht bemerkt. Sie betrachtete fasziniert den knöcheltiefen Sturzbach, der sich in den Rinnstein ergoß.
    »Wir sollten besser an der Ampel über die Straße gehen, Mama. Hier ist es viel zu riskant.«
    Ich nickte und folgte ihr, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Wann bringst du es endlich hinter dich? fragte meine innere Stimme. Du kannst nicht ständig aufpassen, was du sagst, und halbe Sätze herunterschlucken, die dir auf der Zunge liegen. Warum sagst du es ihr nicht einfach?
    Noch nicht, hielt ich mir vor. Ich bin nicht feige - und wenn doch, dann würde es auch nichts ändern. Aber dies war nicht der rechte Augenblick. Ich möchte, daß sie Schottland erst einmal kennenlernt. Nicht dieses Schottland - wir kamen gerade an einem Schaufenster mit Kinderschühchen im Schottenmuster vorbei -, sondern die Landschaft. Und Culloden. Vor allem aber wollte ich ihr das Ende der Geschichte erzählen können. Und dazu brauchte ich Roger Wakefield.
    Als hätte ich ihn durch meine Gedanken herbeigerufen, erblickte
ich auf einem Parkplatz einen klapprigen Morris mit grell orangefarbenem Verdeck, das in der regendunstigen Nässe wie eine Verkehrsampel leuchtete.
    Brianna hatte ihn auch entdeckt. Da es in Inverness nicht viele Autos dieser Farbe und in diesem kläglichen Zustand geben konnte, meinte sie: »Sieh mal, Mama! Ist das nicht der Wagen von Roger Wakefield?«
    »Ja, ich glaube schon.« Rechts von uns lag ein Café, aus dem der Duft nach Hörnchen und Kaffee drang, der sich mit der frischen Regenluft vermischte. Ich nahm Brianna am Arm und zog sie hinein.
    »Ich glaube, ich habe Hunger«, erklärte ich. »Laß uns eine heiße Schokolade trinken und dazu ein paar Kekse essen.«
    Da Brianna noch kindlich genug war, um sich jederzeit von Schokolade verführen zu lassen, leistete sie keine Gegenwehr.
    Eigentlich wollte ich weniger Kakao trinken als einen Moment nachdenken. An der Betonwand hinter dem Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite prangte ein großes Schild. PARKEN NUR FÜR KUNDEN DER SCHOTTISCHEN EISENBAHN, stand darauf, gefolgt von einer Auflistung der Maßnahmen, die denjenigen Autobesitzern angedroht wurden, die nicht mit dem Zug gefahren waren. Sofern Roger bei den Hütern von Recht und Ordnung keinen Sonderstatus genoß, mußte er den Zug genommen haben. Zwar gab es eine Vielzahl möglicher Reiseziele, doch London oder Edinburgh waren am wahrscheinlichsten. Er nahm die Nachforschungen sehr ernst, der gute Junge.
    Wir waren ebenfalls mit dem Zug aus Edinburgh gekommen. Ich versuchte, mich an den Fahrplan zu erinnern, gab es aber bald wieder auf.
    »Ob Roger wohl mit dem Abendzug zurückkehrt?« Brianna sprach mit schlafwandlerischer Sicherheit

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