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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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aber sofort wieder.

    »Nein, Madame«, sagte er. »Ich bin es gewohnt, daß die Leute das von mir behaupten.«
    »Tatsächlich?« Ich beäugte ihn neugierig. Er war nicht nur zerlumpt und schmutzstarrend, sondern offenbar auch dem Hungertod nahe. Die Arme, die aus seinen Hemdsärmeln ragten, waren so mager wie die eines Kindes. Sein Französisch hingegen klang gebildet und geschliffen, wenn auch mit merkwürdigem Akzent.
    »Wenn Sie ein Hexer sind«, sagte ich, »dann sind Sie nicht gerade erfolgreich. Wer zum Teufel sind Sie?«
    Bei diesen Worten kehrte die Furcht in seine Augen zurück. Er sah sich nach einem Fluchtweg um, aber der Stall war, wenn auch alt, so doch solide gebaut, und ich stand vor dem einzigen Ausgang. Schließlich raffte er seinen ganzen Mut zusammen, richtete sich zu seiner vollen Größe auf - er war etwas kleiner als ich - und erklärte mit großer Würde: »Ich bin Pastor Walter Laurent aus Genf.«
    »Sie sind Priester?« fragte ich wie vom Donner gerührt. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ein Priester - Schweizer oder nicht - so herunterkommen konnte.
    Pastor Laurent sah beinahe so entsetzt aus wie ich.
    »Priester?« echote er. »Ein Papist? Niemals!«
    Plötzlich dämmerte es mir.
    »Ein Hugenotte!« rief ich. »Das heißt - Sie sind Protestant, nicht wahr?« Ich erinnerte mich an die Leichen, die ich im Wald hatte hängen sehen. Das erklärte einiges.
    Seine Lippen zitterten, aber er preßte sie fest zusammen, bevor er antwortete.
    »Ja, Madame. Ich bin Pastor. Ich predige seit einem Monat in dieser Gegend.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und musterte mich. »Verzeihen Sie, Madame - Sie sind, glaube ich, keine Französin.«
    »Ich bin Engländerin«, sagte ich, und er ließ erleichtert die Schultern sinken.
    »Großer Gott im Himmel«, sagte er andächtig. »Sie sind also auch Protestantin?«
    »Nein, ich bin Katholikin«, antwortete ich. »Aber ich bin deshalb nicht bösartig«, fügte ich hastig hinzu, als ich sah, wie seine hellbraunen Augen beunruhigt flackerten. »Keine Sorge, ich sage niemandem, daß Sie hier sind. Vermutlich wollten Sie etwas zu essen stehlen?« fragte ich mitfühlend.

    »Stehlen ist eine Sünde«, entgegnete er empört. »Nein, Madame. Aber...« Er preßte die Lippen zusammen, doch sein Blick in Richtung Chäteau verriet ihn.
    »Also werden Sie von einem der Dienstboten mit Essen versorgt«, sagte ich. »Jemand stiehlt für Sie. Aber vermutlich können Sie ihm dafür die Absolution erteilen, und alles regelt sich von selbst. Das moralische Eis, auf dem Sie sich bewegen, ist ziemlich dünn, wenn Sie mich fragen«, fuhr ich tadelnd fort, »aber das geht mich im Grunde nichts an.«
    In seinen Augen glomm ein Fünkchen Hoffnung. »Heißt das - Sie werden mich nicht festnehmen lassen, Madame?«
    »Nein, selbstverständlich nicht. Ich fühle mich Leuten, die vor dem Gesetz auf der Flucht sind, irgendwie verbunden, wo ich doch selbst beinahe auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre.« Mir war nicht ganz klar, warum ich soviel ausplauderte, vermutlich aus Erleichterung darüber, einem intelligenten Menschen gegenüberzustehen. Louise war lieb, treu und fürsorglich, aber sie hatte ungefähr soviel Verstand wie die Kuckucksuhr in ihrem Salon. Beim Gedanken an die Schweizer Uhr ahnte ich plötzlich, wer zu Pastor Laurents heimlicher Gemeinde gehörte.
    »Hören Sie«, sagte ich, »wenn Sie hierbleiben wollen, werde ich ins Chäteau gehen und Berta oder Maurice sagen, daß Sie hier sind.«
    Der arme Mann bestand nur noch aus Haut, Knochen und Augen. Jeder seiner Gedanken spiegelte sich in diesen großen, sanften Braunaugen. Just in diesem Moment dachte er offenbar, daß diejenigen, die mich auf den Scheiterhaufen bringen wollten, auf dem richtigen Weg gewesen seien.
    »Ich habe«, begann er bedächtig und griff wieder nach seinem Kruzifix, »von einer Engländerin gehört, die in Paris La Dame Blanche genannt wird. Eine Komplizin von Raymond, dem Ketzer.«
    Ich seufzte. »Das bin ich. Obwohl ich mich nicht als Komplizin von Maitre Raymond bezeichnen würde, eher als Freundin.« Als ich seinen argwöhnischen Blick sah, holte ich wieder tief Luft. »Pater noster...«
    »Nein, nein, Madame, bitte.« Zu meiner Verwunderung hatte er das Kruzifix gesenkt und lächelte.
    »Auch ich bin mit Maître Raymond bekannt, ich habe ihn in
Genf getroffen. Dort war er als angesehener Arzt und Kräuterheilkundiger tätig. Nun hat er sich leider dunkleren Zielen verschrieben,

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