Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
König gähnte und machte sich dabei nicht die Mühe, die Hand vor den Mund zu halten.
    Unterdessen überdachte ich meine Alternativen. Dieser Mann hatte mich bedroht und attackiert, er hatte versucht, Jamie ermorden zu lassen - ob aus persönlichen oder politischen Gründen, spielte keine Rolle. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er der Anführer jener Bande von Vergewaltigern, die mir und Mary aufgelauert hatten. Darüber hinaus und abgesehen von den Gerüchten, die ich über seine anderen Aktivitäten gehört hatte, bedrohte er den Erfolg unseres Versuchs, Charles Stuart aufzuhalten. Sollte ich ihn ungeschoren davonkommen lassen? Damit er den König weiterhin zugunsten der Stuarts beeinflussen konnte? Damit er die nächtlichen Straßen von Paris mit seiner Bande maskierter Schläger weiterhin unsicher machte?
    Ein Schauder lief mir über den Rücken, aber ich nahm mich zusammen und sah St. Germain fest in die Augen.
    »Einen Augenblick«, sagte ich. »Alles, was Sie bisher gesagt haben, ist wahr, Monsieur le Comte, aber ich sehe einen Schatten hinter Ihren Worten.«
    Der Comte stand mit offenem Mund da. Louis, der sich gegen den Tisch gelehnt hatte, richtete sich interessiert auf. Ich schloß die Augen und legte die Finger auf meine Lider, als blickte ich nach innen.
    »Ich sehe einen Namen in Ihren Gedanken, Monsieur le Comte«, sagte ich atemlos und halb erstickt vor Angst, aber das konnte ich nicht ändern. Ich ließ die Hände sinken und sah ihm in die Augen. »Les Disciples du Mal. Was haben Sie mit Les Disciples zu tun, Monsieur le Comte?«
    Es fiel ihm wirklich schwer, seine Gefühle zu verbergen. Seine
Augen traten hervor, er wurde blaß, und trotz meiner Furcht empfand ich leise Genugtuung.
    Der Name Les Disciples du Mal war auch dem König geläufig; die schläfrigen, dunklen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
    Der Comte mochte ein Gauner und ein Scharlatan sein, aber ein Feigling war er nicht. Er nahm seine letzten Kräfte zusammen, blickte mich wütend an und warf den Kopf zurück.
    »Diese Frau lügt«, sagte er mit derselben Bestimmtheit, mit der er uns mitgeteilt hatte, daß der Buchstabe Aleph die Quelle des Blutes Christi symbolisiere. »In Wahrheit ist sie keine weiße Dame, sondern die Dienerin Satans! Zusammen mit ihrem Meister, dem berüchtigten Hexer, dem Lehrling du Carrefours!« Er deutete theatralisch auf Raymond, der gelinde überrascht aussah.
    Einer der Kapuzenträger bekreuzigte sich, und ich hörte, wie ein kurzes Gebet gemurmelt wurde.
    »Ich kann beweisen, was ich sage«, erklärte der Comte, bevor ein anderer das Wort ergreifen konnte. Er griff in die Brusttasche seines Rockes. Ich erinnerte mich an den Dolch, den er bei jener Abendgesellschaft aus dem Ärmel gezogen hatte, und war bereit, mich rechtzeitig zu ducken. Was er hervorzog, war jedoch kein Messer.
    »In der Heiligen Schrift heißt es: ›Und durch die, die zum Glauben gekommen sind, werden folgende Zeichen geschehen‹«, donnerte er. »›Wenn sie Schlangen anfassen, wird es ihnen nicht schaden. ‹«
    Es handelte sich um eine Schlange. Sie war fast einen Meter lang, glatt und geschmeidig wie ein geöltes Seil, schimmerte goldbraun und besaß beunruhigende goldene Augen.
    Bei ihrem Erscheinen war aus den Reihen der Zuschauer ein Keuchen zu hören, und zwei der maskierten Richter traten rasch einen Schritt zurück. Louis selbst war sichtlich bestürzt und sah sich hastig nach seinem Leibwächter um, der an der Tür stand.
    Die Schlange züngelte ein-, zweimal, als kostete sie die Luft. Scheinbar kam sie zu dem Schluß, daß die Mischung aus Kerzenwachs und Weihrauch ungenießbar war, drehte sich um und versuchte, wieder in die warme Tasche zu schlüpfen, aus der sie so grob herausgezerrt worden war. Der Comte packte sie geschickt hinten am Kopf und streckte sie mir entgegen.
    »Seht!« sagte er triumphierend. »Die Frau schreckt davor zurück! Sie ist eine Hexe!«

    Im Vergleich zu einem der Richter, der sich gegen die Wand drückte, war ich die Standhaftigkeit in Person, aber ich muß zugeben daß ich unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten war, als die Schlange vor mir auftauchte. Jetzt ging ich wieder auf dem Comte zu, denn ich beabsichtigte, ihm die Schlange abzunehmen. Das verdammte Vieh war höchstwahrscheinlich nicht giftig, sonst würde sie der Comte kaum in seiner Brusttasche spazierentragen. Vielleicht offenbarte sich, wie harmlos sie wirklich war, wenn ich sie ihm um den Hals wickelte.
    Bevor ich

Weitere Kostenlose Bücher