Die Geliehene Zeit
und unter dem einige meiner Vorfahren liegen.«
Roger gab der goldenen Epaulette einen Schubs, so daß sie hin und her schwang. »Ich nehme es nicht so persönlich wie manch anderer, aber vergessen kann auch ich es nicht.« Doch dann faßte er sie behutsam am Arm. »Wollen wir nach draußen gehen?«
Im Freien blies ein kalter, stürmischer Wind, der die Wimpel an den Masten zu beiden Seiten des Schlachtfelds heftig flattern ließ. Die gelbe und die rote Fahne markierten die Position der beiden Feldherren, von der aus sie im Rücken ihrer Soldaten auf den Ausgang der Schlacht gewartet hatten.
»Ziemlich weit weg vom Schuß«, bemerkte Brianna trocken. »Keine Gefahr, eine verirrte Kugel abzubekommen.«
Roger sah, daß sie zitterte. Sie hatte sich bei ihm untergehakt,
und er zog ihre Hand fester unter seinen Arm. Unter dem plötzlichen Ansturm von Glücksgefühlen, den diese Berührung in ihm wachrief, meinte er fast zu zerspringen. Rasch rettete er sich in einen historischen Vortrag. »Nun, so haben die Generäle damals die Truppen gelenkt - aus sicherer Entfernung. Besonders Charlie. Er hat am Ende der Schlacht so überstürzt die Flucht ergriffen, daß er sogar sein silbernes Picknickgeschirr zurückließ.«
»Ein Picknickgeschirr? Er hat zur Schlacht ein Picknick mitgebracht?«
»Aye.« Roger merkte, daß es ihm im Beisein von Brianna gefiel, sich schottisch zu geben. Normalerweise achtete er darauf, seinen Akzent hinter dem zweckmäßigen, an der Universität üblichen Oxford-Englisch zu verbergen, doch jetzt ließ er seiner Zunge freien Lauf und wurde prompt mit einem Lächeln belohnt.
»Wissen Sie, warum er Prince Charlie genannt wurde?« fragte Roger. »Die Engländer sind heute noch der Meinung, es sei ein Kosename, der zeigt, wie beliebt er bei seinen Soldaten war.«
»Und, stimmt das etwa nicht?«
Roger schüttelte den Kopf. »Weiß Gott nicht. Die Soldaten nannten ihn Prinz Tcharlach - das gälische Wort für Charles. Tcharlach mac Seamus . >Charles, der Sohn von James‹. Also sehr förmlich und respektvoll. Aber weil es sich so ähnlich anhört, haben die Engländer daraus Charlie gemacht.«
»Dann war er also gar nicht Bonnie Prince Charlie, der nette kleine Prinz?«
»Damals jedenfalls nicht.« Roger zuckte die Achseln. »Heute ist das natürlich anders. Einer dieser kleinen historischen Fehler, die über Generationen hinweg als Faktum weitergegeben werden.«
»Und das sagen Sie als Historiker!« neckte Brianna.
Roger lächelte trocken. »Deswegen weiß ich ja Bescheid.«
Langsam schlenderten sie auf den Kieswegen über das Schlachtfeld. Roger erklärte ihr den Einsatz der am Kampf beteiligten Regimenter und ihre Strategie und würzte seinen Bericht mit Anekdoten über die beiden Feldherren.
Aber als der Wind sich legte und sich allmählich Stille über der Landschaft ausbreitete, erstarb auch ihr Gespräch. Nur hin und wieder ließen sie eine Bemerkung fallen, und dann auch schon fast im Flüsterton. Der Himmel war mit grauen Wolken überzogen, und das trübe Licht, das über der Senke hing, dämpfte alle Farben.
»Diese Stelle heißt der Brunnen des Todes.« Roger blieb vor einer kleinen Quelle stehen. Unter einem Steinsims quoll ein kleines Rinnsal hervor und sammelte sich in einem Becken, das kaum dreißig Zentimeter Durchmesser hatte. »Hier ist einer der Clanoberhäupter gestorben. Seine Gefolgsleute wuschen ihm mit dem Wasser dieser Quelle das Blut aus dem Gesicht. Und dort drüben sind die Clansmänner begraben.«
Die Grabmäler bestanden aus großen, grauen, moosüberwachsenen Granitquadern, die von Wind und Wetter rundgeschliffen waren. Sie standen verstreut am Rand des Feldes auf Flecken weichen grünen Grases, und die eingemeißelten Inschriften waren so verwittert, daß man sie teilweise kaum noch lesen konnte. MacGillivray. MacDonald. Fraser. Grant. Chisholm. MacKenzie.
»Sehen Sie mal«, sagte Brianna flüsternd und wies auf einen der Steine. Vor ihm lag ein Bund graugrüner Zweige, in den die ersten Frühlingsblumen geflochten waren.
»Heidekraut«, erklärte Roger. »Eigentlich sieht man sie erst im Sommer, wenn es blüht. Dann liegen Sträuße wie dieser vor jedem Stein. Rotes Heidekraut, aber hie und da auch ein weißer Zweig. Weißblühendes Heidekraut bringt Glück; außerdem steht es für Königtum. Charlie führte es gemeinsam mit der weißen Rose als Emblem.«
»Woher stammen die Sträuße?« Brianna ging in die Hocke und strich zart über die Zweige.
»Von
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