Die Geliehene Zeit
Fraser-Clans angebracht war. Ich holte sie heraus und drückte die Plakette in das warme Kerzenwachs, mit dem ich den Brief versiegelt hatte. Es sah richtig amtlich aus.
»Für die schottische Dame mit den Sommersprossen«, wies ich Fergus an, und zufrieden beobachtete ich, wie er davoneilte und im Menschengetümmel der Straße verschwand. Ich hatte keine Ahnung, wo sich Jenny im Augenblick befand, aber die Offiziere hatten ihr Quartier im Pfarrhaus neben der Kirche aufgeschlagen. Dort konnte Fergus mit seiner Suche beginnen. Das würde ihn jedenfalls davon abhalten, auf dumme Gedanken zu kommen.
Nachdem ich dies erledigt hatte, wandte ich mich an die Hausfrau.
»Nun denn«, sagte ich, »was haben Sie an Decken, Servietten und Unterröcken?«
Bald stellte sich heraus, daß ich Jenny Cameron richtig eingeschätzt hatte. Eine Frau, die dreihundert Männer um sich versammeln und über die Berge führen konnte, um für einen Gecken mit italienischem Akzent und einer Schwäche für Weinbrand zu kämpfen, mußte sowohl über Tatkraft als auch über die seltene Begabung verfügen, andere so einzuschüchtern, daß sie ihre Befehle befolgten.
»Sehr vernünftig«, meinte sie, als sie von meinem Plan hörte. »Mein Bruder Archie hat vermutlich Vorkehrungen getroffen, aber er möchte natürlich am liebsten bei der Armee sein.« Entschlossen schob sie das Kinn vor. »Denn dort spielt die Musik«, ergänzte sie sarkastisch.
»Es wundert mich, daß Sie nicht darauf bestanden haben mitzugehen«, sagte ich.
Sie lachte. Ihr kleines reizloses Gesicht mit dem vorstehenden Unterkiefer ließ sie wie eine gutmütige Bulldogge aussehen.
»Ich würde schon, wenn ich dürfte, aber ich darf nicht«, gab sie offen zu. »Jetzt, wo Hugh da ist, will er mich ständig überreden, nach Hause zu gehen. Aber ich will«, sie blickte sich um, ob wir nicht belauscht würden, und senkte vertraulich die Stimme, »verdammt sein, wenn ich zu Hause herumsitze, wo ich mich hier nützlich machen kann.«
Sie stand auf der Türschwelle der Kate und blickte nachdenklich auf die Straße.
»Ich glaube nicht, daß sie auf mich hören würden«, sagte ich. »Schließlich bin ich Engländerin.«
»Aye, das stimmt wohl«, sie nickte, »aber mein Wort hat Gewicht. Ich weiß nicht, wie viele Verwundete es geben wird. Gebe Gott, daß es nicht viele sind.« Sie bekreuzigte sich flüchtig. »Wir fangen am besten mit den Häusern in der Nähe des Pfarrhauses an; es wird dort weniger schwer sein, Wasser aus dem Brunnen zu holen.« Entschlossen trat sie aus der Tür und machte sich auf den Weg. Ich folgte ihr.
Uns kam nicht nur die Überzeugungskraft von Miß Cameron zugute, sondern auch die Tatsache, daß Dasitzen und Warten für Männer eine der entsetzlichsten Beschäftigungen überhaupt ist - Frauen tun das weitaus öfter. Als die Sonne hinter der Dorfkirche von Tranent verschwunden war, hatten wir bereits eine Art Krankenhausbrigade auf die Beine gestellt.
Die Blätter fielen von den Lärchen und Erlen im nahegelegenen Wald und blieben gelb und flach auf dem sandigen Boden liegen. Ab und zu wurde ein gekräuseltes braunes Blatt vom Wind davongetrieben wie ein Kahn im aufgewühlten Meer.
Wenn ich die Augen vor dem Licht der untergehenden Sonne beschattete, konnte ich den Berghang hinter dem Ort sehen, wo die Hochlandarmee ihr Lager aufgeschlagen hatte. Seine Hoheit war vor einer Stunde mit der anderen Hälfte der Armee zurückgekehrt, um sich Lord George anzuschließen. Ich konnte einzelne Gestalten erkennen, die sich als winzige schwarze Schatten vor dem verblassenden Himmel abzeichneten. Ein paar hundert Meter jenseits der Straße sah ich den schwachen Schein der ersten englischen Feuer. Der schwere Qualm brennenden Torfes aus den Katen und der herbere Geruch der englischen Holzfeuer überlagerte den des Meeres.
Die Frauen und Familien der Hochlandsoldaten waren in den Häusern entlang der Hauptstraße gastfreundlich aufgenommen worden. Sie teilten mit ihren Gastgebern das karge Mahl aus Haferbrei und Salzhering. Auch für mich stand ein Abendessen bereit, obwohl ich kaum Appetit hatte.
»Wollen Sie nicht hereinkommen, Madame? Die Frau hat Essen für Sie bereitgestellt.« Es war Fergus, der plötzlich neben mir aufgetaucht war.
»Oh? Ja, natürlich. Ja, ich komme.« Ich warf einen letzten Blick auf den Berghang, dann wandte ich mich zu der Kate.
»Kommst du auch, Fergus?« fragte ich, als ich sah, wie er mitten auf der Straße stehenblieb und
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