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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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sprechen, unabhängig davon, wie ich mich verhielt?«
    Dieses Risiko wollte ich nur um eines Experiments willen nicht eingehen. Ich sah Fergus an, der ungeduldig von einem Bein aufs andere trat.
    »Glaubst du, du kannst deinen Herrn finden? Dort oben auf dem Berghang ist es dunkel wie in einer Kohlengrube. Und ich möchte nicht, daß einer von euch versehentlich erschossen wird.«
    »Ich finde ihn schon, Madame«, beschwichtigte mich Fergus. Das war wohl richtig. Fergus besaß so etwas wie eine Radarantenne, die auf Jamie ausgerichtet war.

    »Also gut«, stimmte ich zu. »Aber sei um Gottes willen vorsichtig.«
    »Oui, Madame!« Blitzschnell war er an der Tür und huschte hinaus.
    Eine halbe Stunde, nachdem die beiden gegangen waren, sah ich, daß mit Fergus auch das Messer, das ich auf dem Tisch liegengelassen hatte, verschwunden war. Und erst in diesem Augenblick fiel mir siedendheiß ein, daß ich ihn zwar zur Vorsicht ermahnt, jedoch ganz vergessen hatte, ihm zu sagen, er solle zurückkommen.
     
    Die erste Kanone ging kurz vor Morgengrauen los. Der dumpfe Knall erschütterte die Dielenbretter, auf denen ich schlief. Ich schreckte auf und ergriff die Hand der Frau, die neben mir schlief. Eigentlich sollte man meinen, man wäre gewappnet, wenn man vorher weiß, daß etwas geschehen wird, doch dem ist nicht so.
    Aus einer Ecke der Kate drang ein leises Stöhnen. »Heilige Maria, heiliger Michael, heilige Bride, schütze uns«, murmelte die Frau neben mir. Hastig standen die Frauen auf; sie sprachen kaum, sondern lauschten auf die Geräusche, die von der Schlacht unten in der Ebene heraufdrangen.
    Die Frau eines der Hochlandschotten, Mrs. MacPherson, faltete neben dem Fenster ihre Decke zusammen. In ihrem Gesicht stand die nackte Angst geschrieben, und sie schloß schaudernd die Augen, als ein weiterer gedämpfter Knall ertönte.
    Es war also doch nützlich, mehr zu wissen. Diese Frauen hatten keine Ahnung von geheimen Pfaden, von Angriffen im Morgengrauen und überraschenden Niederlagen. Sie wußten lediglich, daß ihre Männer und Söhne im Augenblick dem Kanonen- und Musketenfeuer einer englischen Armee gegenüberstanden, die viermal so groß war wie ihre eigene.
    Weissagungen sind immer eine ziemlich riskante Sache, und mir war klar, daß sie mir nicht glauben würden. Und so blieb mir nur übrig, sie durch Arbeit abzulenken. Flüchtig schoß mir ein Bild durch den Kopf: ein von der aufgehenden Sonne angestrahlter Haarschopf, der eine ausgezeichnete Zielscheibe abgab. Gleich darauf ein zweites Bild: ein Junge mit Eichhörnchenzähnen, bewaffnet mit einem gestohlenen Metzgermesser und einer unbeschwerten Vorstellung von der Herrlichkeit des Krieges. Ich schloß die Augen und schluckte. Ablenkung war auch für mich das beste.
    »Meine Damen!« sagte ich. »Wir haben schon viel getan, aber wir sind noch lange nicht fertig. Wir werden kochendes Wasser benötigen. Kessel zum Wasserkochen und Rahmtöpfe zum Einweichen. Haferbrei für die, die essen können; Milch für die anderen. Talg und Knoblauch zum Verbinden der Wunden. Holzlatten für Schienen. Flaschen und Krüge, Tassen und Löffel. Nähnadeln und starken Faden. Mrs. MacPherson, wenn Sie so freundlich wären...«
     
    Ich wußte vom Verlauf der Schlacht lediglich, welche Seite gewinnen und daß die Zahl der Toten auf seiten der jakobitischen Armee »gering« sein würde. Nur ein Satz war mir von jener Seite des Buches, die mir verschwommen vor Augen stand, noch in Erinnerung: »... die siegreichen Jakobiten hatten nur dreißig Opfer zu beklagen.«
    Opfer. Todesopfer, korrigierte ich mich. Aber auch jeder Verwundete war ein Opfer, und als die Sonne hoch am Himmel stand, befanden sich weitaus mehr als dreißig Verwundete in unserer Kate. Langsam machten sich die Sieger auf den Heimweg nach Tranent. Die Gesunden stützten ihre verwundeten Kameraden.
    Eigenartigerweise hatte Seine Hoheit angeordnet, daß die englischen Verwundeten als erste vom Schlachtfeld geholt und medizinisch versorgt werden sollten. »Sie sind die Untertanen meines Vaters«, hatte er verkündet, »und ich möchte, daß sie gut versorgt werden.« Die Tatsache, daß die Hochlandschotten, die gerade für ihn die Schlacht gewonnen hatten, ebenfalls Untertanen seines Vaters waren, schien ihm in diesem Augenblick entfallen zu sein.
    »Wenn man das Verhalten von Vater und Sohn bedenkt«, sagte ich zu Jenny Cameron, als ich dies hörte, »kann die Hochlandarmee nur hoffen, daß sich heute nicht auch

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