Die Geliehene Zeit
Schulter und zog mich an sich.
»Dann bleibe ich bei dir«, sagte er und ließ mich los. »Ich kann auch nicht schlafen.«
»Und die anderen Männer von Lallybroch?«
Er nickte zu den Feldern in der Nähe des Dorfes, wo die Armee ihr Lager aufgeschlagen hatte.
»Murtagh hat die Verantwortung.«
»Ah, das ist gut. Dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte ich und sah, daß er lächelte. Vor der Kate stand eine Bank, auf die sich die Frau des Hauses an sonnigen Tagen setzte, um Fische zu putzen oder Kleider zu flicken. Dorthin führte ich ihn, um einen
Augenblick auszuruhen. Er ließ sich mit einem Seufzer nieder und lehnte sich an die Hauswand. Als ich seine offenkundige Erschöpfung sah, mußte ich an Fergus denken und an dessen Verwirrung nach der Schlacht.
Ich streichelte Jamies Nacken, und er legte mit geschlossenen Augen seine Stirn an die meine.
»Wie war es, Jamie?« fragte ich leise, während ich langsam und fest meine Finger über seine verspannten Nackenmuskeln und seine Schultern gleiten ließ. »Wie war es? Erzähl es mir.«
Ein kurzes Schweigen, dann seufzte er und begann zu sprechen, zuerst zögernd, dann immer schneller, als wollte er rasch alles loswerden.
»Wir machten kein Feuer, denn Lord George meinte, wir müßten vor Tagesanbruch den Kamm überschritten haben, und wir wollten nicht, daß man uns von unten sah. Wir saßen eine Zeitlang im Dunkeln. Sprechen durften wir ebenfalls nicht, da jedes Geräusch in die Ebene hinuntergetragen wurde. So saßen wir.
Dann spürte ich, wie im Dunkeln jemand mein Bein berührte. Ich wäre vor Schreck beinahe vergangen.« Er steckte einen Finger in den Mund und rieb sich vorsichtig die Zunge. »Hätte mir beinahe die Zunge abgebissen.« Ich spürte, daß er lächelte, obwohl ich sein Gesicht nicht sah.
»Fergus?«
Sein leises Lachen durchschnitt die Stille der Nacht.
»Aye, Fergus. Er kroch auf allen vieren durchs Gras, der kleine Lauser, und ich dachte, es sei eine Schlange. Er flüsterte mir ins Ohr, daß Anderson einen Weg kannte, und dann kroch ich hinter ihm her und brachte Anderson zu Lord George.«
Er sprach langsam und wie im Traum.
»Und dann kam der Befehl zum Aufbruch, auf dem Weg, den Anderson uns zeigte. Und die gesamte Armee machte sich in der Dunkelheit auf.«
Die Nacht war klar, schwarz und mondlos, ohne die Wolkendecke, die das Licht der Sterne sonst abdämpfte. Die Hochlandarmee schritt schweigend auf dem schmalen Weg hinter Richard Anderson her; keiner konnte weiter sehen als bis zur Ferse seines Vordermanns.
Die Armee bewegte sich nahezu lautlos, Befehle wurden flüsternd
von Mann zu Mann weitergegeben. Breitschwerter und Axte wurden unter den Plaids verhüllt, Pulverhörner unter den Hemden ans klopfende Herz gepreßt.
Als die Schotten den schmalen Pfad hinter sich gelassen hatten, ruhten sie sich aus, immer noch schweigend und ohne Feuer anzuzünden. Sie verzehrten ihre kalten Rationen und verharrten - in unmittelbarer Nähe des feindlichen Lagers.
»Wir konnten sie sogar reden hören«, erzählte Jamie. Er hatte die Augen geschlossen und lehnte sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, gegen die Hauswand. »Eigenartig, einen Menschen über einen Scherz lachen zu hören, zu hören, wie er nach einer Prise Salz verlangt oder nach dem Weinschlauch - und zu wissen, daß du ihn vielleicht binnen weniger Stunden töten wirst - oder er dich. Du mußt einfach darüber nachdenken, weißt du. Du fragst dich, wie das Gesicht aussieht, das zu dieser Stimme gehört. Ob du ihn wiedererkennen wirst, wenn du ihm am nächsten Morgen gegenüberstehst.«
Doch die Aufregung vor der Schlacht wich einer übergroßen Müdigkeit und Erschöpfung, und die »schwarzen Frasers« - so genannt wegen der Rußspuren, die immer noch ihre Gesichter zierten - und ihr Anführer waren inzwischen seit mehr als sechsunddreißig Stunden auf den Beinen. Jamie hatte sich einen Büschel Gras als Kopfkissen zurechtgelegt, das Plaid um die Schultern geschlungen und sich neben seinen Männern im wogenden Gras niedergelegt.
Vor Jahren, während Jamies Zeit in der französischen Armee, hatte ein Feldwebel den jüngeren Söldnern einen Trick verraten, wie man in der Nacht vor der Schlacht einschlafen könne.
»Macht es euch bequem, erforscht euer Gewissen und bereut eure Sünden. Vater Hugo sagt, daß euch in Zeiten des Krieges, auch wenn kein Priester in der Nähe ist, eure Sünden auf diese Weise vergeben werden. Da man im Schlaf nicht
Weitere Kostenlose Bücher