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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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starb, bald nachdem ich ihn hier herausgebracht hatte, aber ich wollte mich nicht von ihm trennen.«
    Ich faßte den Toten behutsam unter den Schultern, und wir ließen ihn sanft auf die Erde hinabgleiten. Das Gras wiegte sich im Wind, und die Halme streichelten Kincaids Gesicht - ein zärtlicher Willkommensgruß der bergenden Erde.

    »Du wolltest nicht, daß er drinnen stirbt«, sagte ich. Uber uns am unendlichen Himmel zogen die Wolken dahin.
    Jamie nickte langsam, dann kniete er neben dem Toten nieder und küßte ihn auf die breite, bleiche Stirn.
    »Wie schön wäre es, wenn jemand dasselbe für mich tun würde«, flüsterte er. Dann zog er das Plaid über Kincaids braunen Lockenkopf und murmelte etwas auf Gälisch, was ich nicht verstand.
    Eine Feldlazarett ist kein Ort für Tränen; dafür gibt es viel zuviel zu tun. Ich hatte den ganzen Tag nicht geweint, trotz allem, was ich gesehen hatte, doch jetzt ließ ich, wenigstens für einen Augenblick, den Tränen freien Lauf. Ich barg mein Gesicht an Jamies Schulter, und er tätschelte mich tröstend. Als ich aufblickte und mir die Tränen aus dem Gesicht wischte, sah ich, wie er trockenen Auges auf die reglos am Boden liegende Gestalt starrte. Er spürte meinen Blick und sah mich an.
    »Ich habe um ihn geweint, als er noch am Leben war, Sassenach«, sagte er ruhig. »Nun also, wie stehen die Dinge?«
    Ich schniefte, putzte mir die Nase und nahm seinen Arm, und so gingen wir langsam zur Kate zurück.
    »Ich brauche deine Hilfe.«
    »Bei wem?«
    »Bei Hamish MacBeth.«
    Jamies sorgenvoll angespanntes, dreckverschmiertes Gesicht hellte sich auf.
    »Dann ist er also zurück? Gott sei Dank! Wie steht es um ihn?«
    Ich verdrehte die Augen. »Du wirst es gleich sehen.«
    MacBeth war einer von jenen, die Jamie besonders gern hatte. Ein kräftiger Mann mit einem lockigen braunen Bart, schweigsam und wortkarg. Während der Reise war er nie von Jamies Seite gewichen. Er sprach wenig, und sein schüchternes Lächeln erblühte unter seinem Bart wie eine seltene, aber strahlende Nachtblume.
    Ich wußte, daß Jamie nach der Schlacht voller Sorge auf MacBeth gewartet hatte. Als es Abend wurde und auch die letzten Nachzügler eintrafen, hatte ich nach MacBeth Ausschau gehalten. Schließlich ging die Sonne unter, und die Feuer im Lager wurden angezündet, aber Hamish MacBeth war nirgends zu sehen. Ich begann zu fürchten, daß wir auch ihn unter den Toten suchen mußten.
    Doch vor einer halben Stunde hatte er sich in unser Lazarett geschleppt. Ein Bein war blutverschmiert bis hinunter zum Knöchel,
und er ging vorsichtig mit gespreizten Beinen. Aber um keinen Preis wollte er zulassen, daß ein »Weibsbild« Hand an ihn legte.
    Er lag neben einer Laterne auf einer Decke, die Hand hatte er auf seinen runden Bauch gelegt, den Blick geduldig auf die Holzbalken an der Decke gerichtet. Er schaute Jamie an, als der sich neben ihn kniete, bewegte sich aber sonst nicht. Ich hielt mich taktvoll im Hintergrund.
    »Also dann, MacBeth«, sagte Jamie und ergriff zur Begrüßung seine Handgelenk. »Wie geht’s, Mann?«
    »Ich schaffe es schon, Sir«, murmelte er. »Ich schaffe es. Nur, es ist...« Er zögerte.
    »Na gut, dann wollen wir es uns einmal ansehen.« MacBeth wehrte sich nicht, als Jamie seinen Kilt hochstreifte. Ich spitzte zwischen Jamies Ellenbogen hindurch, und jetzt erkannte ich die Ursache von MacBeth’ Zögern.
    Ein Schwert oder ein Spieß hatte ihn in der Leistengegend getroffen. Der Hodensack war auf einer Seite gerissen, und ein Hoden hing herab - die glatte rosafarbene Außenseite glänzte wie ein geschältes Ei.
    Jamie und die zwei, drei anderen Männer, die die Wunde sahen, wurden blaß, und ich sah, wie sich einer der Helfer instinktiv betastete, um zu sehen, ob bei ihm noch alles heil war.
    Obwohl die Wunde fürchterlich aussah, schien der Hoden selbst unbeschädigt, und es blutete auch nicht besonders stark. Ich berührte Jamie an den Schultern und schüttelte den Kopf, um anzudeuten, daß es keine schwere Verletzung war, einmal abgesehen von ihrer Wirkung auf die männliche Psyche. Jamie, der meine Geste aus dem Augenwinkel heraus sah, tätschelte MacBeth beruhigend am Knie.
    »Ach, es ist nur halb so schlimm, MacBeth. Mach dir keine Sorgen, du kannst noch Vater werden.«
    Der kräftige Mann hatte besorgt an sich hinuntergesehen, doch bei diesen Worten heftete er den Blick auf seinen Kommandanten. »Das ist meine geringste Sorge, Sir, ich habe schon sechs Kinder. Aber

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