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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Rede, jedoch mit einem boshaften Unterton.
    »Wer sie in unehrenhafter Umarmung umfängt, dem vertrocknen die Geschlechtsteile wie vom Frost befallene Äpfel«, sagte er genüßlich, »und seine Seele wird auf ewig in der Hölle schmoren.« Er entblößte seine Zähne und holte aus. »Und zwar so.« Das Buchenholzgebiß landete mit einem Knall im Kamin und fing sofort Feuer.

41
    Der Fluch der Seherin
    Die meisten Tieflandschotten waren in den beiden vorhergehenden Jahrhunderten zur presbyterianischen Kirche übergetreten. Es gab Hochlandclans, die sich ihnen anschlossen, andere aber, darunter die Frasers und die MacKenzies, waren ihrem katholischen Glauben treu geblieben. Besonders die Frasers mit ihren engen Verbindungen zum katholischen Frankreich.
     
    Es gab auf Beaufort eine kleine Kapelle, aber die inzwischen recht verfallene Abtei von Beauly war und blieb auch weiterhin die Begräbniskirche der Lovats. Der Fußboden im Altarraum war mit Grabplatten der verstorbenen Lovats gepflastert.
    Es war ein friedlicher Ort, den ich manchmal trotz des kalten, stürmischen Wetters aufsuchte. Ich hatte keine Ahnung, ob die Drohung des alten Simon wirklich ernst gemeint war. Vielleicht hatte ihn Jamie, der mich mit Dame Aliset verglichen hatte - einer legendären »Weißen Frau« oder Heilerin, das schottische Pendant zu La Dame Blanche - von seinem Vorhaben abgebracht. Aber ich war mir sicher, daß es niemand wagen würde, mich bei den Gräbern der verblichenen Frasers anzugreifen.
    Eines Nachmittags, ein paar Tage nach jener Szene in der Bibliothek, als ich eben durch einen Mauerspalt in die verfallene Abteikirche geschlüpft war, merkte ich, daß ich nicht allein war. Die hochgewachsene Frau, die ich vor Lovats Bibliothek gesehen hatte, saß auf einer roten Grabplatte. Fröstelnd hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt und die langen Beine von sich gestreckt.
    Ich wich zurück, aber sie sah mich und winkte mich heran.
    »Sie sind die Herrin von Broch Tuarach?« sagte sie mit ihrer weichen Hochlandstimme. Es klang mehr wie eine Feststellung denn eine Frage.

    »Ja. Und Sie sind... Maisri?«
    Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihre Züge waren interessant, etwas asymmetrisch, wie die Gesichter der Frauen auf Modiglianis Gemälden. Das lange schwarze Haar hing ihr lose auf die Schultern herab; es war schon weiß durchwirkt, obwohl sie offensichtlich noch jung war. Eine Seherin? Sie sah wirklich danach aus.
    »Aye, ich habe das Zweite Gesicht«, sagte sie und lächelte.
    »Sie können auch Gedanken lesen, nicht wahr?« fragte ich.
    Ihr Lachen wurde vom Wind fortgetragen, der durch das verfallene Gemäuer strich.
    »Nein, Lady. Aber ich lese in den Gesichtern, und...«
    »Und meines ist ein offenes Buch, ich weiß«, seufzte ich.
    Eine Zeitlang standen wir nebeneinander und beobachteten den feinen Schneeregen, der gegen den Sandstein und auf das dichte braune Gras sprühte, das den Kirchhof überwucherte.
    »Man sagt, Sie seien eine Weiße Frau«, sagte Maisri plötzlich. Fragend sah sie mich an, aber ohne jene Erregung, die eine solche Äußerung gewöhnlich begleitete.
    »Man sagt es«, nickte ich.
    »Ah.« Sie schwieg und blickte auf ihre langen schmalen Füße, die in Wollstrümpfen und Ledersandalen steckten. Meine Zehen, die weitaus wärmer eingepackt waren, wurden langsam taub. Da sie sich schon etwas länger hier aufhielt, mußten ihre Füße zu Eis gefroren sein.
    »Was machen Sie hier?« fragte ich. Bei Sonnenschein war die Abtei wunderschön und die Ruhe wohltuend. Aber bei Schnee und Regen konnte man sich gemütlichere Plätze vorstellen.
    »Ich komme hierher, um nachzudenken«, antwortete sie. Sie lächelte mich an, schien aber irgendwie beunruhigt. Was auch immer sie beschäftigte, es war nichts Angenehmes.
    »Worüber?« fragte ich und setzte mich auf die Grabplatte neben sie. Die Figur eines Ritters war darauf eingemeißelt, sein Breitschwert hielt er in der Hand, die Arme über der Brust gekreuzt.
    »Ich möchte wissen, warum!« brach es aus ihr heraus. Ihr schmales Gesicht war voller Empörung.
    »Warum was?«
    »Warum! Warum ich sehen kann, was geschehen wird, wenn ich es doch nicht ändern kann! Welchen Nutzen bringt eine solche
Gabe? Es ist keine Gabe, es ist ein Fluch, und ich habe nichts getan, ihn zu verdienen!«
    Sie wandte sich um und starrte erzürnt auf den in Stein gehauenen Thomas Fraser, der gelassen unter seinem Helm hervorblickte.
    »Aye, vielleicht ist es dein Fluch, du alter Narr!

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