Die Geliehene Zeit
klar hervortreten läßt. Und das habe ich getan.« Als sie den Kopf nach oben wandte, glitt ihre Kapuze herab. Ihr weißdurchwirktes schwarzes Haar wehte im Wind.
»Er stand vor dem Feuer, aber es war taghell, und ich sah es deutlich. Ein Mann stand hinter ihm, unbeweglich wie ein Baum, mit schwarz verhülltem Gesicht. Und über das Gesicht Seiner Lordschaft fiel der Schatten eines Beiles.«
Ihre Stimme klang nüchtern, dennoch lief mir ein Schauer über den Rücken. Dann seufzte sie und sah mich an.
»Ja, ich glaube, ich sage es ihm, und dann soll er machen, was er will. Verdammnis oder Rettung - das liegt nicht in meiner Hand. Er hat die Wahl - und der Herr Jesus Christus möge ihm beistehen.«
Sie wandte sich zum Gehen, ich glitt von dem Grabstein und landete auf Lady Sarahs Grabplatte.
»Maisri«, sagte ich. Sie sah mich aus ihren schwarzen Augen aufmerksam an.
»Aye?«
»Was sehen Sie, Maisri?« fragte ich und blieb unbeweglich vor ihr stehen.
Sie sah mich eindringlich von allen Seiten an. Dann lächelte sie und schüttelte den Kopf.
»Ich sehe nichts, nur Sie, Lady«, sagte sie leise. »Nur Sie sind zu sehen.«
Sie drehte sich um und verschwand auf dem schmalen Weg zwischen den Bäumen.
Verdammnis oder Rettung. Das liegt nicht in meiner Hand. Ich habe nur die Macht des Wissens, keine Fähigkeit, andere meinem Willen zu unterwerfen, keine Möglichkeit, sie daran zu hindern, das zu tun, was sie tun werden. Da bin nur ich.
Ich schüttelte mir den Schnee vom Umhang, folgte Maisri auf dem schmalen Weg und teilte mit ihr das bittere Wissen, daß ich ganz allein dastand. Und nur ich allein - das war nicht genug.
Der alte Simon verhielt sich in den folgenden zwei, drei Wochen nicht anders als gewöhnlich, obwohl Maisri ihm ihre Vision bestimmt geschildert hatte. Doch während er zuvor geneigt schien, die Clansmänner und Pächter herbeizurufen und in den Kampf zu
schicken, änderte er nun plötzlich seine Meinung und sagte, es hätte überhaupt keine Eile damit. Diese Unentschlossenheit machte den jungen Simon furchtbar wütend, der es kaum erwarten konnte, in den Krieg zu ziehen und auf dem Schlachtfeld Ruhm und Ehre zu erwerben.
»Es hat keine Eile«, sagte der alte Simon zum x-ten Mal, nahm ein Stück Haferkuchen in die Hand, roch daran und legte es wieder zurück. »Vielleicht sollten wir bis nach der Frühjahrssaat warten.«
»Bis zum Frühjahr können sie in London sein!« Der junge Simon blickte seinen Vater finster an und griff nach der Butter. »Wenn du schon selbst nicht gehen willst, dann laß wenigstens mich mit Seiner Hoheit in den Kampf ziehen!«
»Eile ist des Teufels«, murmelte Lord Lovat vor sich hin. Dann fügte er etwas lauter hinzu: »Wirst du denn niemals lernen abzuwarten?«
»Die Zeit des Abwartens ist längst vorbei!« platzte Simon heraus. »Die Camerons, die MacDonalds, die MacGillivrays - sie alle waren schon von Anfang an dabei. Sollen wir denn die letzten sein und am Ende als Bettler auftreten? Sollen wir hinter Clanranald und Glengarry den zweiten Platz einnehmen? Dann ist es mit der Herzogswürde auch vorbei!«
Lovat hatte einen großen ausdrucksstarken Mund; noch in seinem Alter drückte sich darin etwas von seinem Humor und seiner Sinnlichkeit aus. Doch jetzt preßte er die Lippen fest aufeinander und betrachtete seinen Erben verdrießlich.
»In Eile gefreit, in Muße bereut«, sagte er. »Und bei der Wahl eines Kriegsherrn gilt das um so mehr. Eine Frau kann man wieder loswerden.«
Der junge Simon schnaubte wütend und sah Jamie hilfesuchend an. Im Laufe der letzten beiden Monate war sein anfänglicher Argwohn einem widerwilligen Respekt für seinen in der Kriegskunst offenkundig ziemlich bewanderten Verwandten gewichen.
»Jamie sagt...«, begann er.
»Ich weiß sehr wohl, was er sagt«, fiel ihm der alte Simon ins Wort. »Er hat es oft genug wiederholt. Ich werde mir Zeit lassen bei der Entscheidung. Aber vergiß eines nicht, mein Junge: Wenn man im Krieg Partei ergreifen will, hat es noch nie geschadet abzuwarten.«
»Abwarten, um zu sehen, wer gewinnt«, murmelte Jamie und
wischte seinen Teller mit einem Stück Brot aus. Der Alte blickte ihn scharf an, entschloß sich aber, diesen Gesprächsbeitrag zu übergehen.
»Du hast den Stuarts dein Wort gegeben«, fuhr der junge Simon unnachgiebig fort. »Du willst doch nicht etwa wortbrüchig werden? Was werden die Leute über deine Ehre sagen?«
»Nicht mehr und nicht weniger als im Jahr 1715«, erwiderte
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