Die Geliehene Zeit
musikalisch verschlüsselte Nachricht wies darauf hin, daß es letztlich der Herzog mit seinen Hilfeversprechungen gewesen war, der Charles dazu bewogen hatte, im August die Segel zu setzen.
Gewiß gab es Männer, die sich hüteten, sich als Jakobiten zu erkennen zu geben. Angesichts der Strafe, die auf Verrat stand, schien das auch nicht weiter verwunderlich. Und der Herzog hatte mehr zu verlieren als andere, sollte die Sache, der er sich verschrieben hatte, scheitern.
Dennoch erweckte der Herzog kaum den Eindruck, ein begeisterter Anhänger der Stuarts zu sein. Seine Bemerkungen über Danton
verrieten, daß er einem katholischen Herrscher nur geringe Sympathien entgegenbringen würde. Und warum hielt er seine Zahlungen so lange zurück, wo Charles nicht nur jetzt, sondern schon seit seiner Ankunft in Schottland so dringend Geld brauchte?
Ich konnte mir nur zwei Gründe vorstellen, die das Verhalten des Herzogs erklärten; zwar gereichte ihm keiner von beiden zur Ehre, aber beide standen im Einklang mit seinem Charakter.
Als Jakobit mochte er bereit sein, einen ihm nicht genehmen katholischen König zu unterstützen, um als wichtigster Geldgeber der wiedereingesetzten Stuartmonarchie in den Genuß zahlreicher Vorteile zu kommen. Mir war klar, daß »Prinzipientreue« nicht zum Vokabular des Mannes zählte, der Begriff »Eigennutz« hingegen schon. Vielleicht wollte er Charles’ Einzug in England abwarten, damit das Geld nicht verschwendet wurde, bevor die Hochlandarmee den entscheidenden Vorstoß nach London wagte. Jeder vernünftige Mensch, der Charles Stuart kannte, hätte eingesehen, daß man ihm nicht zuviel Geld auf einmal anvertrauen durfte.
Vielleicht wollte der Herzog auch sichergehen, daß die Stuarts die nötige Rückendeckung für ihren Feldzug bekamen, bevor er sich selbst finanziell beteiligte. Schließlich war es ein Unterschied, ob man eine Rebellion unterstützte oder ob man allein eine ganze Armee unterhielt.
Doch es war noch ein weitaus unheilvolleres Motiv für das herzogliche Verhalten denkbar. Indem er seine Unterstützung davon abhängig machte, daß das jakobitische Heer englischen Boden erreichte, beschwor er einen Konflikt zwischen Charles und seinen Clanführern herauf. Denn Charles würde, das Geld vor Augen, eine widerstrebende Armee nach Süden und damit weg von den schützenden Bergen, in denen die Kämpfer Zuflucht finden konnten, führen.
Wenn sich der Herzog schon von den Stuarts reichen Lohn versprach, sofern sie den Thron zurückeroberten, was hatte er dann erst vom Hause Hannover zu erwarten, falls er Charles Stuart aus Schottland weglockte und ihn und seine Anhänger auf Gedeih und Verderb der englischen Armee auslieferte?
Die Geschichtsschreibung gab keinen Aufschluß über die wahren Sympathien des Herzogs. Das erschien mir merkwürdig; gewiß mußte er seine Absichten früher oder später preisgeben. Andererseits hatte es der alte Fuchs, der Herr von Lovat, beim letzten
Jakobitenaufstand verstanden, beide Seiten gegeneinander auszuspielen, sich bei den Hannoveranern einzuschmeicheln und sich gleichzeitig die Gunst der Stuarts zu erhalten. Und auch Jamie hatte die Seiten gewechselt. Vielleicht war es in dem trügerischen Sumpf der Machtpolitik nicht weiter schwierig, seine Zugehörigkeit zu verbergen.
Während ich mich schlaflos und frierend herumwälzte, hörte ich plötzlich ein leises rhythmisches Geräusch. Ich drehte mich um, horchte, stützte mich auf den Ellbogen und beäugte meine Gefährtin ungläubig. Sie hatte sich auf der Seite eingerollt, ihre runden Wangen schimmerten rosig, und in ihrem weichen Mund steckte sicher und geborgen ihr Daumen, während ihre Unterlippe zarte Saugbewegungen machte.
Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Schließlich tat ich keins von beiden, sondern zog ihr nur behutsam den Daumen aus dem Mund und legte ihr die entspannte Hand auf die Brust. Dann blies ich die Kerze aus und kuschelte mich an Mary.
Ob es an der Unschuld dieser kleinen Geste lag, die früheste Erinnerungen an Vertrauen und Geborgenheit heraufbeschwor, an der trostreichen Nähe eines warmen Körpers oder nur daran, daß mich Kummer und Furcht bis zur Erschöpfung ausgelaugt hatten - jedenfalls tauten meine Füße auf, ich entspannte mich und schlief ein.
In die warmen Decken gehüllt, schlummerte ich traumlos und fest. Um so mehr erschrak ich, als ich jäh aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Es war immer noch dunkel - stockfinster, genauer gesagt,
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