Die Geliehene Zeit
Steinkate endlos widerzuhallen.
Danach lagen wir reglos aneinandergeschmiegt. Sein köstliches
Gewicht war mir Schutz und Schild zugleich. Konnte es wirklich sein, daß aus dem Körper, der so kräftig, so warm, so pulsierend war, in den nächsten Stunden alles Leben weichen sollte?
»Horch mal«, sagte er nach einer Weile. »Hörst du es auch?«
Zuerst vernahm ich nichts als den Wind und den Regen, der durch die Löcher im Dach in die Kate tropfte. Dann hörte ich das regelmäßige, langsame Klopfen seines Herzens direkt an meinem, und meins an seinem, zwei Herzen im Einklang, vereint im Rhythmus des Lebens.
So lagen wir lange Zeit engumschlungen, warm und geborgen unter Plaid und Umhang, mit unseren Kleidern als Matratze. Schließlich löste sich Jamie von mir, drehte mich auf die andere Seite und legte seine Hand auf meinen Bauch. Sein warmer Atem strich über meinen Nacken.
»Schlaf ein wenig, mo duinne«, flüsterte er. »Ich möchte noch einmal so daliegen und dich und das Baby in den Armen halten.«
Ich hätte nicht gedacht, daß ich Schlaf finden würde, doch die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Ohne Wellen aufzuwirbeln, tauchte ich in das Vergessen. Als ich in der Morgendämmerung erwachte, hielt Jamie mich noch immer umschlungen, und ich sah zu, wie die Dämmerung die freundliche, schützende Dunkelheit vertrieb.
Da drehte ich mich auf die Seite, um ihn zu betrachten. Ich wollte sehen, wie das Tageslicht sein markantes, aber im Schlaf so unschuldiges Gesicht erhellte, wollte sehen, wie die aufgehende Sonne in seinem Haar einen Funkenregen aufsprühen ließ - zum letztenmal.
Der Schmerz, der mich durchzuckte, war so heftig, daß ich aufstöhnte, und er öffnete die Augen. Als er mich sah, lächelte er, und forschend glitt sein Blick über meine Züge. Er tat es mir gleich, wollte sich mein Gesicht einprägen.
»Jamie«, sagte ich. Vom Schlaf und den vielen Tränen, die ich hinuntergeschluckt hatte, war meine Stinmme heiser. »Jamie, ich möchte ein Zeichen von dir tragen.«
»Wie bitte?« fragte er verwundert.
In meiner Reichweite entdeckte ich den kleinen sqian dhu, den Jamie immer im Strumpf trug. Dunkel hob sich sein Griff aus geschnitztem Hirschhorn von dem Kleiderhaufen ab, auf dem er lag. Ich hob ihn auf und gab ihn Jamie.
»Schneide mich«, drängte ich ihn. »So tief, daß ich eine Narbe behalte. Wenn ich gehe, möchte ich ein Zeichen von dir mitnehmen, etwas, was mir immer bleibt. Es macht nichts, wenn es weh tut. Nichts kann mehr schmerzen als unsere Trennung. Dann kann ich wenigstens später darüberstreichen und ein Zeichen von dir spüren, wo immer ich bin.«
Er legte seine Hand auf meine, die das Messer umschlossen hielt. Nach kurzem Nachdenken drückte er sie und nickte. Als er die rasiermesserscharfe Klinge nahm, streckte ich ihm meine rechte Hand entgegen. Unter unseren Decken war es warm, doch in der kalten Luft des Raumes bildete unser Atem kleine Wölkchen.
Jamie drehte meine Handfläche nach oben und untersuchte sie sorgfältig. Dann hob er sie an die Lippen und küßte sie sanft. Doch gleich darauf sog er scharf an meiner Daumenwurzel. Als er sie freigab, schnitt er rasch in das gefühllose Fleisch. Ich spürte nicht mehr als ein leichtes Brennen, doch auf der Stelle quoll Blut aus dem Schnitt. Rasch führte er meine Hand an seinen Mund und hielt sie dort, bis das Blut versiegt war. Dann verband er die mittlerweile schmerzende Wunde sorgsam mit einem Taschentuch, doch zuvor zeigte er mir den Schnitt - ein etwas schiefes »J«.
Als ich aufblickte, hielt er mir das kleine Messer entgegen. Ich nahm es und griff zögernd nach der Hand, die er mir entgegenstreckte.
Jamie schloß die Augen und preßte die Lippen zusammen. Trotzdem entfuhr ihm ein schmerzliches Stöhnen, als ich die Messerspitze in die fleischige Wölbung seiner Daumenwurzel drückte. Der Venushügel, so hatte mir eine Handleserin gesagt, steht für Leidenschaft und Liebe.
Erst als ich den kleinen, halbkreisförmigen Schnitt vollendete, merkte ich, daß er mir die linke Hand gegeben hatte.
»Ich hätte die andere nehmen sollen«, sagte ich. »Es wird weh tun, wenn du dein Schwert führst.«
Er lächelte leicht.
»Was könnte schöner sein, als daß ich in meinem letzten Kampf deine Berührung spüre.«
Ich löste das blutgetränkte Taschentuch und preßte meine Wunde fest gegen seine. Als sich unser Blut vermischte, schlangen sich unsere Finger ineinander.
»Blut von meinem Blute...«, flüsterte
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