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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Schicht von Predigtentwürfen und alten Quittungen holte sie ein einzelnes Blatt hervor und legte es auf den Schreibtisch.
    »Ach, das ist ja mein Familienstammbuch!« wunderte sich Roger. »Ich habe das gute Stück seit Jahren nicht mehr gesehen. Und wenn, dann habe ich es nicht weiter beachtet«, fügte er hinzu. »Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, daß ich adoptiert worden bin? Das weiß ich nämlich schon.«
    In die Aufstellung vertieft, nickte Claire. »Ja, natürlich. Deswegen hat Ihr Vater - ich meine, Mr. Wakefield - diese Ahnentafel ja angefertigt. Da er Ihnen seinen Namen gegeben hat, wollte er sichergehen, daß Sie Ihre Herkunft kennen.«
    Roger seufzte, als er an den Reverend dachte und an den kleinen silbernen Fotorahmen auf seinem Schreibtisch, der das Porträt
eines lächelnden, dunkelhaarigen jungen Mannes in der Uniform der Royal Air Force zeigte.
    »Ja, aber die kenne ich auch schon. Mein Familienname war MacKenzie. Wollen Sie mir etwa sagen, daß ich mit einigen der MacKenzies, die Sie... äh, damals kannten, verwandt bin? Auf dem Stammbaum sind sie jedenfalls nicht zu finden.«
    Claire schien ihn nicht gehört zu haben, denn sie fuhr mit dem Finger das spinnenwebartige Geflecht der Ahnentafel nach.
    »Mr. Wakefield war akkurat bis aufs I-Tüpfelchen«, murmelte sie mehr zu sich selbst. »Fehler hätte er nicht durchgehen lassen.« Plötzlich verharrte ihr Finger.
    »Hier«, sagte sie. »Hier ist es passiert. Unterhalb dieses Punktes«, ihr Finger glitt die Seite hinunter, »ist alles in Ordnung. Dies waren Ihre Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter. Aber darüber stimmt es nicht.« Sie zeigte nach oben.
    Roger blickte auf die Tafel und sah dann nachdenklich auf.
    »Dann geht es wohl um diesen hier, um William Buccleigh MacKenzie, geboren 1744 als Sohn von William John MacKenzie und Sarah Innes. Gestorben 1782.«
    Claire schüttelte den Kopf. »Gestorben 1744, im Alter von zwei Monaten, an Pocken.« Sie sah auf, und ihre goldenen Augen blickten ihn so eindringlich an, daß ihm ein Schauer über den Rücken lief. »Ihre Adoption war nicht die erste in Ihrer Familie, müssen Sie wissen.« Sie zeigte auf den Eintrag. »Dieser hier brauchte eine Amme«, sagte sie. »Weil seine leibliche Mutter gestorben war, gab man ihn zu einer Familie, die ein Neugeborenes verloren hatte. Und er bekam auch den Namen dieses Kindes, was damals keineswegs ungewöhnlich war. Ich glaube, man wollte die Aufmerksamkeit nicht auf seine Vorfahren lenken, indem man seine Herkunft im Taufregister verzeichnete. Schließlich war er bei der Geburt getauft worden, also bestand kein Grund, es noch einmal zu tun. Colum hat mir erzählt, in welche Familie sie ihn gegeben haben.«
    »Geillis Duncans Sohn«, sagte Roger langsam. »Das Kind der Hexe.«
    »Genau.« Den Kopf zur Seite geneigt, blickte sie ihn prüfend an. »Als ich Sie sah, wußte ich, daß es nicht anders sein kann. Sie haben ihre Augen.«
    Roger setzte sich. Trotz des Bücherregals, das die kühle Luft abhielt, und des Feuers im Kamin war ihm plötzlich kalt.

    »Sind Sie sicher?« fragte er. Aber natürlich war sie sich sicher. Vorausgesetzt, ihre Geschichte war kein Hirngespinst, die raffinierte Ausgeburt eines verwirrten Geistes. Nachdenklich sah er Claire an. Ungerührt saß sie da, das Whiskyglas in der Hand, so gefaßt, als wollte sie im nächsten Augenblick Käsecracker bestellen.
    Ein verwirrter Geist? Dr. Claire Beauchamp-Randall, Oberärztin in einem großen, angesehenen Krankenhaus? Schleichender Irrsinn, wuchernde Wahnvorstellungen? Eher war er selbst übergeschnappt. Und tatsächlich begann er allmählich an seinem Geisteszustand zu zweifeln.
    Er holte tief Luft und stützte sich mit den Handflächen auf den Stammbaum, so daß der Eintrag William Buccleigh MacKenzie verdeckt war.
    »Nun, das klingt ja recht interessant, und ich bin froh, daß Sie es mir gesagt haben. Aber ändern tut das alles nichts, oder? Abgesehen davon, daß ich die obere Hälfte der Ahnentafel abreißen und fortwerfen kann. Schließlich wissen wir weder, woher Geillis Duncan stammt, noch wer der Vater ihres Kindes ist, wenn wir davon ausgehen, daß der arme alte Arthur dafür nicht in Frage kommt.«
    Claire schüttelte den Kopf und blickte geistesabwesend in die Ferne.
    »O nein. Nicht Arthur Duncan, sondern Dougal MacKenzie war der Vater. Und das war auch der Grund, weshalb sie sterben mußte. Um Hexerei ging es dabei nicht. Colum MacKenzie wollte vertuschen, daß

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