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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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ihre Körperhaltung noch unterstrichen - jeder saß kerzengerade und mit gestrafften Schultern auf seinem Stuhl. Was den Abt betraf, gehörte diese Haltung zu seiner asketischen Lebensweise. Jamie hingegen wollte seine frisch verheilten Narben nicht in Kontakt mit der hölzernen Stuhllehne bringen.
    »Seiner Majestät König James«, entgegnete sein Onkel und blickte mich stirnrunzelnd an. Ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. Meine Anwesenheit in den Räumen des Abtes war ein Vertrauensbeweis, den ich durch nichts gefährden wollte. Er hatte mich vor knapp sechs Wochen zum ersten Mal gesehen, als ich mit
Jamie, von Folter und Gefangenschaft fast zu Tode gequält, an der Pforte erschienen war. In dem Maße, wie wir uns näher kamen, war das Vertrauen des Abts in mich gewachsen. Andererseits war ich nun einmal Engländerin. Und der englische König hieß George, nicht James.
    »So? Braucht er nun doch keinen Übersetzer?« Jamie war immer noch dünn, aber da er mit den Mönchen in den Ställen und auf den Feldern der Abtei arbeitete, gewann sein Gesicht allmählich wieder seine normale gesunde Farbe zurück.
    »Er braucht einen treuen Diener - und einen Freund.« Abt Alexander klopfte sacht auf einen gefalteten Brief, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Abwägend blickte er zwischen seinem Neffen und mir hin und her.
    »Was ich euch jetzt sage, muß unter uns bleiben«, erklärte er ernst. »Es wird sich schon bald herumsprechen, aber im Augenblick...« Ich bemühte mich, verschwiegen auszusehen, während Jamie nur ungeduldig nickte.
    »Seine Hoheit Prinz Charles Edward hat Rom verlassen und wird in dieser Woche in Frankreich eintreffen«, erklärte der Abt. Dabei beugte er sich vor, als wollte er seinen Worten größeres Gewicht verleihen.
    Und die Nachricht war wirklich bedeutsam. James Stuart hatte 1715 einen mißglückten Versuch unternommen, seinen Thron zurückzuerobern. Es war ein schlecht geplanter Feldzug, der schon bald aufgrund mangelnder Unterstützung scheiterte. Seitdem hatte der verbannte James von Schottland in unermüdlichen Schreiben an befreundete Monarchen - insbesondere an seinen Cousin, den König von Frankreich - immer wieder seinen rechtmäßigen Anspruch auf den Thron Englands und Schottlands betont und dabei auf die Stellung seines Sohnes Prinz Charles als Thronerbe hingewiesen.
    »Sein Vetter, König Louis, hat sich gegenüber diesem berechtigten Anspruch leider taub gezeigt«, erklärte der Abt, wobei er stirnrunzelnd auf den Brief blickte, als läge Louis selbst vor ihm. »Sollte er sich mittlerweile auf seine Verantwortung in dieser Sache besonnen haben, haben jene, die an dem heiligen Recht der Königswürde festhalten, Grund zu großer Freude.«
    Er meinte damit die Jakobiten, also James’ Anhänger, zu denen auch der Abt von Ste. Anne - ein gebürtiger Schotte namens Alexander
Fraser - gehörte. Jamie hatte mir erzählt, daß Alexander einer der wichtigsten Korrespondenten des verbannten Königs war und über alles Kenntnis besaß, was mit den Stuarts zusammenhing.
    »Er sitzt an der richtigen Stelle«, hatte Jamie mir erklärt, als wir über das Abenteuer sprachen, zu dem wir aufbrechen wollten. »Die päpstlichen Boten befördern die Mitteilungen meist schneller als andere durch Italien, England und Schottland. Und sie können nicht von den Zollbeamten der Regierung aufgehalten werden, das heißt, es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß die Briefe, die sie bei sich tragen, abgefangen werden.«
    Der in Rom im Exil lebende König James genoß die Unterstützung des Papstes, der erhebliches Interesse an der Wiedereinsetzung einer katholischen Monarchie in England und Schottland besaß. Daher wurden die meisten seiner Briefe durch päpstliche Boten befördert und über treue Anhänger innerhalb der kirchlichen Hierarchie weitergeleitet, wie durch Abt Alexander. Sie standen in Verbindung mit den schottischen Jakobiten, so daß diese Beförderung weniger Risiken barg, als wenn man die Briefe auf gewöhnlichem Weg von Rom nach Edinburgh und in die Highlands geschickt hätte.
    Während Alexander die Bedeutsamkeit des Besuchs von Prinz Charles in Frankreich erläuterte, sah ich ihn mir genauer an. Er war untersetzt und dunkelhaarig und hatte ungefähr die gleiche Größe wie ich. Wie sein Neffe hatte er leicht schräge Augen, einen scharfen Verstand und die Gabe, verborgenen Beweggründen auf die Spur zu kommen. Ein Merkmal, das allen Frasers, denen ich begegnet war, zu eigen

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