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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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war.
    »Das heißt«, schloß er seine Ausführungen und strich sich über den vollen, dunklen Bart, »ich weiß nicht, ob Seine Hoheit sich auf Louis’ Einladung hin in Frankreich aufhält oder uneingeladen auf Geheiß seines Vaters dort erschienen ist.«
    »Das macht durchaus einen Unterschied«, bemerkte Jamie, wobei er skeptisch die Stirn runzelte.
    Sein Onkel nickte und ließ durch das Dickicht seines Bartes ein gezwungenes Lächeln erkennen.
    »Richtig, mein Junge«, entgegnete er und gestand sich im Gegensatz zu seinem sonstigen formellen Englisch die Andeutung eines schottischen Akzents zu. »Sehr richtig. Und da könnest uns du und deine Frau gute Dienste leisten, wenn ihr mögt.«

    Der Vorschlag war einfach: Wenn der Neffe seines treuen und hochgeschätzten Freundes Alexander bereit war, nach Paris zu reisen und seinem Sohn, Seiner Hoheit Prinz Charles, in jedweder Form zu Diensten zu sein, würde Seine Majestät König James für die Reisekosten und ein bescheidenes Gehalt aufkommen.
    Ich war verblüfft. Wir hatten ursprünglich beabsichtigt, nach Rom zu fahren, da uns dies als der geeignetste Ort für unsere Aufgabe erschien: den zweiten jakobitischen Aufstand - den des Jahres 1745 - zu verhindern. Aus meinen Geschichtskenntnissen wußte ich, daß dieser Aufstand, der von Charles Edward Stuart angeführt worden war, den Versuch seines Vaters vom Jahr 1715 bei weitem übertreffen, aber dennoch nicht von Erfolg gekrönt sein sollte. Wenn die Dinge so fortschritten, wie ich annahm, würden die Soldaten unter Bonnie Prince Charles 1746 bei Culloden eine verheerende Niederlage hinnehmen müssen, unter deren Auswirkungen die Bevölkerung der Highlands noch weitere zwei Jahrhunderte zu leiden haben würde.
    Jetzt, im Jahre 1744, war Charles offensichtlich gerade im Begriff, in Frankreich um Unterstützung zu bitten. Wo ließ sich ein Aufstand besser verhindern als an der Seite seines Anführers?
    Ich sah Jamie an, der über die Schulter seines Onkels hinweg auf einen kleinen, in die Wand eingelassenen Reliquienschrein blickte. Zwar ruhten seine Augen auf der vergoldeten Figur der heiligen Anne, doch hinter seiner ausdruckslosen Miene arbeitete sein Verstand fieberhaft. Schließlich blinzelte er und lächelte seinen Onkel an.
    »Welcher Hilfe Seine Hoheit auch bedarf«, meinte er ruhig, »ich bin sicher, daß ich das schaffe. Wir fahren.«
    Und so brachen wir auf. Allerdings begaben wir uns nicht auf direktem Weg nach Paris, sondern fuhren zunächst von Ste. Anne nach Le Havre, um uns dort mit Jamies Cousin Jared Fräser zu treffen.
    Jared war ein erfolgreicher schottischer Emigrant, der mit Wein und Schnaps handelte und dem ein Lagerhaus, ein geräumiges Stadthaus in Paris und darüber hinaus noch ein Weindepot in Le Havre gehörte. Als er aus Jamies Brief erfuhr, daß wir auf dem Weg nach Paris waren, hatte er Jamie dorthin gebeten.
    Ausgeruht, wie ich war, verspürte ich nun allmählich Hunger. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Speisen. Offensichtlich hatte
Jamie das Zimmermädchen angewiesen, mir etwas zu bringen, während ich schlief.
    Da ich keinen Morgenmantel besaß, griff ich mir meinen Reiseumhang aus Samt. Ich setzte mich auf und schlang mir das warme Kleidungsstück um die Schultern, bevor ich eine notwendige Verrichtung erledigte, ein weiteres Holzscheit auf das Feuer warf und mich schließlich zu meinem späten Frühstück niedersetzte.
    Zufrieden verspeiste ich die harten Brötchen und den gebackenen Schinken und spülte beides mit Milch hinunter. Hoffentlich wurde Jamie ebensogut bewirtet wie ich. Er hatte mir immer wieder versichert, Jared sei ein guter Freund, doch was die Gastfreundschaft von Jamies Verwandten betraf, hatte ich so meine Zweifel, nachdem ich mit einigen Bekanntschaft geschlossen hatte. Sicher, Abt Alexander hatte uns willkommen geheißen, aber während unseres Aufenthalts bei der Familie von Jamies Mutter, den MacKenzies von Leoch, war ich nur knapp dem Tod entronnen. Man hatte mich eingesperrt und mir als Hexe den Prozeß gemacht.
    »Zugegeben«, lenkte ich ein, »dieser Jared ist ein Fraser, denen man mehr Vertrauen schenken kann als deinen Verwandten vom Clan der MacKenzies. Aber bist du ihm überhaupt schon mal begegnet?«
    »Ich habe eine Zeitlang bei ihm gewohnt, als ich achtzehn war«, antwortete er, während er Kerzenwachs auf den Antwortbrief tropfte und den Ehering seines Vaters in die graugrüne Pfütze drückte. Die Fassung des Rubinrings trug das Motto des

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