Die gelöschte Welt
jedem ein kleines Zögern. Die Tinte ist schwarz. Sie hat nicht mit Kugelschreiber, sondern mit einem Füller geschrieben. Es muss derjenige sein, mit dem sie ihre Briefe nach Hause schreibt, denn so ein Füller würde das harte Leben einer Krankenschwester nicht lange überleben, erst recht nicht hier im Kriegstheater.
Du hast mich gefragt, ob ich dich heiraten will. Die Antwort auf diese Frage wusste ich nicht, und ich weiß sie immer noch nicht. Ich kenne dich nicht, und das ist ein Grund dafür, dass ich mit dir ausgehen will. Ein weiterer Grund ist, dass ich, wenn ich nicht etwas Ablenkung bekomme, dem leitenden Sanitätsoffizier bei nächster Gelegenheit ein Skalpell in den Körper ramme, wenn er mich noch einmal bittet, die Patienten für ihn zu sichten. Du solltest aber auch die Risiken bedenken. Schon die Tatsache, dass ich diesen Brief an einen Mann schreibe, der mir nicht vorgestellt wurde und mir einen Heiratsantrag gemacht hat, als die Infusion noch angelegt war, zeigt, dass ich mein sonst übliches Verhalten über Bord geworfen habe. Da ich außerdem übermüdet und wütend bin und an Schlaflosigkeit leide, ganz abgesehen von den Gewaltphantasien gegenüber einem harmlosen alten Lustmolch, der nur versucht, aus einer unmöglichen Situation das Beste zu machen, scheint es mir durchaus möglich, dass ich ein leichtes Stresssyndrom habe, was langfristig harmlos sein mag, mich aber in eine hoffnungslose Romantikerin verwandelt, die in dieser Hinsicht sogar noch einen Mann übertrifft, der nach seiner Krankenakte an Verbrennungen leidet, überfahren wurde, sich mehrere örtliche Krankheiten zugezogen hat, von einer tollwütigen Katze angegriffen und schließlich von seinen eigenen Leuten in die Luft gejagt wurde.
Im Lichte dieser kleinen Vorbehalte möchte ich jedoch ganz nachdrücklich erklären, dass ich Ja sagen werde, falls du mich einlädst, was hoffentlich deine Entscheidungsfindung von allen Selbstzweifeln befreien wird.
Leah
X
Egon Schlender beobachtet mit schmalen, klugen Augen meinen Gesichtsausdruck, während ich lese. Hin und wieder schaut er an mir vorbei, was ich als Anflug von Höflichkeit werte, da Starren als aufdringlich oder gar angriffslustig gilt. Ich lege den Brief nicht weg, sondern falte ihn längs der schon existierenden Kniffe und schiebe ihn wieder in den Umschlag. Egon Schlender wartet ab, was ich dazu sagen will, und überlegt offenbar schon, ob er mir den Tropf aus der Vene reißen und mich mit dem Infusionsständer zu Tode prügeln soll, damit ich seiner Freundin nicht das Herz breche. Seine spitz zulaufenden Finger klopfen einen langsamen, gleichmäßigen Takt auf seinem Knie. Ich habe keine Brusttasche, weil ich ein Krankenhausnachthemd und keine Jacke trage, deshalb kann ich den Umschlag nur direkt auf meiner Haut verwahren. Er reibt leicht, die scharfen Kanten verfangen sich hier und dort an einem Haar oder einer alten Narbe. Ich muss mich sehr beherrschen, um nicht einfach loszuheulen. Als ich mich an das Gefühl gewöhnt habe, dass er dort ist – und dort soll er auch auf die eine oder andere Weise für immer bleiben –, erwidere ich Egon Schlenders Blick.
»Würden Sie bitte Leah ausrichten, dass ich Ja gesagt habe? Dass ich Ja, Ja, Ja gesagt habe? Und dass dies – und sie selbst – das Schönste ist, was ich je gesehen habe?«
Egon Schlender steht schweigend auf, doch seine Miene wirkt sehr zufrieden, als er hinausgeht. Hinter mir höre ich ihren Atem, und mir wird bewusst, dass sie die ganze Zeit am Kopfende meines Bettes gestanden hat. Jetzt kniet sie neben mir auf dem Boden nieder, damit sie mich ansehen kann, und legt mir beide Hände auf den unverletzten Arm. So verharren wir lange.
Ich habe eine Verabredung im Kriegsgebiet.
Das ist eigentlich gar nicht schlecht, aber jetzt brauche ich eine italienische Trattoria mit karierten Tischdecken und Leinenservietten. Ich brauche Bruschetta, diese kleinen gerösteten Ciabattastücke, mit Knoblauch und Öl eingerieben und mit frischen Tomaten und Basilikum belegt. Die Auflage rutscht unweigerlich vom Brot, und das Olivenöl rinnt über die Lippen und am Kinn herunter. Es ist köstlich, äußerst sinnlich und wundervoll unfein. Eine Frau, die Bruschetta essen kann, ist eine Frau, die Sie lieben können und die wiederum Sie lieben wird. Wer die Vorspeise wegschiebt, um sich nicht schmutzig zu machen, wird in Ihrem Alterssitz niemals zahnlos quer durchs Wohnzimmer kichern oder Sie durch schlichte wilde
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