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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Gonzo, als sei er sich seiner Sache nicht sicher, dann fällt sein Blick auf Leah und mich, und er legt wieder los. »Safran ist für Liebende! Da! Diese beiden sind Geliebte, nicht wahr? Hm?«
    An diesem Punkt, und weil unsere entzückte Demütigung noch nicht abgeschlossen ist, erfahren wir, dass Rao Tsur eine Frau hat. Sie ist schlank und auf eine traurige Weise auch schön zu nennen. Sie wirft lange Arme mit großen Händen hoch. Ihre Ellenbogen beugen und strecken sich, bis sie wie ein wütender Kranich aussieht.
    »Du bist ein Esel! Ja, Rao, du bist ein Esel. Ich bin mit einem Trottel verheiratet. Man möge dir deine Unbeholfenheit verzeihen, damit die Schande für mich nicht noch so groß wird, dass ich gleich an Ort und Stelle zu einer Salzsäule erstarre. Jawohl, zu einer Salzsäule. Meine Mutter (gesegnet sei ihre ehrbare, von uns gegangene Seele) war eine Idiotin, als sie mich dir versprach. Oh, sagte sie, ein Kind meiner Freunde Seta und Li kann nur ein braver Mann werden, weil sie klug ist und er schön, und beide sind einander treu. O ja, sagte sie, da habe ich einen guten Mann für meine Tochter. Pah! Hörst du das? Pah! Und ich dummes Kind betrachtete den breitschultrigen Burschen, den sie mir zeigten, als es so weit war, und ich sah das Feuer in seinen Augen, das mich wie Reisig entzündete. O ja, damals waren wir jung, und ich dachte an nichts außer Verrenkungen, Schweiß und die zuckende, klammernde Ekstase! Ich nickte und willigte in meinen eigenen Untergang ein, denn ich dachte mit dem Unterleib! Ha! Aber seht ihn jetzt an! Er ist fett! Er ist fett, während die ganze Welt verhungert. Wie macht er das nur? Wer weiß? Ich weiß es nicht, denn ich bin dürr geworden. Dürr wie eine Spinne oder eine Hexe, mit der man die Kinder erschreckt. Eine Frau wie ein Stock, den der Wind zerbrechen kann. O ja, es gab mal eine Zeit, in der ich schön war, mit einer stolzen Oberweite – wie das Kissen eines Maharadschas – und ganz mit Seide bedeckt. Eine Oberweite, die eine irre Lust, Kämpfe zwischen Männern und Haareraufen bei Frauen auslösen konnte. Ha! Aber jetzt sehen Sie nur.« Damit schiebt sie ihren beeindruckenden Busen zur Inspektion vor, der durch die Zeit oder ein hartes Leben ein wenig gelitten hat. Ihre Halsmuskeln zeigen jedoch, dass sie gut in Form und stark ist. »Ich bin verwahrlost! Ein Wrack! Und alles nur deinetwegen!«, wirft sie Rao Tsur vor, der den dargebotenen Ausschnitt mit einem gewissen Interesse betrachtet. »Und jetzt, während du eigentlich Safran verkaufen solltest, um deine Familie zu ernähren und vielleicht, vielleicht nur deinem abgezehrten Weib helfen solltest, zu ihrer früheren Kraft und Schönheit zurückzufinden, auch wenn ihr ehemals gutes Aussehen unter deiner miesen Bewirtschaftung verloren ging und sie hausbacken ist und du sie zweifellos bei nächster Gelegenheit wie eine zerrissene Weste ablegen wirst, jetzt, sage ich, beleidigst du diese braven Leute, weil doch ein Blinder sehen kann, dass sie keine Geliebten sind, noch nicht jedenfalls. Du hast sie in Verlegenheit gebracht, und vielleicht wird es jetzt niemals so weit kommen. Ja, zieh nur den Kopf ein, mein Gatte, wie ein fetter, fauler Hund, der einen Mundvoll vom Essen seines Herrn geschnappt hat. Du hast ihre Liebe in Gefahr gebracht, du Idiot, und welchen Nutzen hätte Safran noch in einer Welt, in der die Liebe stirbt? Na? Na? Pah!« Damit sackt sie auf einen Stuhl und starrt ihn finster an, während sie mit den Fingerspitzen trommelt.
    Rao Tsur schaut verlegen drein und beugt sich vertraulich zu uns.
    »Das ist mir jetzt aber sehr peinlich. Hier kommen meine Pflichten durcheinander. Diese leidende Frau wurde in meine Obhut gegeben (verflucht seien mein mitfühlendes Wesen und mein Versprechen an meinen Vater, den Schwachen stets zur Seite zu stehen!), als ich noch ein junger Mann war und gerade begann, meine Welt zu erobern. Sie hielt sich damals für einen Igel und sprach kein Wort. Es war einfach, sie zu versorgen. Eine Schale Ziegenmilch und eine warme Kiste mit Stroh, und sie war zufrieden. Aber leider! Ich konnte mich nicht zurückhalten, denn sie war von so unvergleichlicher Schönheit, dass ich dachte, Gott, der erhabene Gott in der Höhe, könne doch nicht die Absicht gehabt haben, dass sie immer so verschlossen bleiben müsse. Nein, dachte ich, dieses Geschöpf muss doch einem höheren Zweck dienen und eine Bestimmung haben, die der eines Engels gleichkommt. (Nicht, dass ich glaubte,

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