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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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in dieser Geschichte geht es ja gerade um den Erwerb solcher Hilfsmittel. Deshalb verändere ich meine Beschreibung ihrer Überlegungen wie folgt: Sie haben durchaus ein Bewusstsein für den alltäglichen Zyklus, denn als primitive Jäger und Sammler stehen sie in engster Verbindung mit den unvergleichlichen Wundern der göttlichen Schöpfung und vor allem mit der unergründlichen, aber fühlbaren Abkühlung der Luft und der Erde in der urtümlichen Nacht. Daher ist ihnen ebenfalls bewusst, dass sie während ihres Schlafs unter einem Unbehagen leiden werden, das mit der Kälte zu tun hat. Bist du damit einverstanden?«
    »Das bin ich.«
    »Nun bedenke, mein Prinz der Menschen, wie sich diese unwissenden Gefährtinnen an den so großzügig bedachten Herrn des Rudels oder der Herde wenden …«
    »Nicht ›stolz‹?«
    »Dies sind nicht deine wirklichen Vorfahren, Prinz der Menschen, sondern reine Erfindungen. Daher erhöhe ich sie nicht, indem ich sie mit Löwen vergleiche, sondern betrachte sie eher als Hunde oder Vieh, das von deinesgleichen beherrscht, aber nicht verehrt werden soll.«
    »Ah. Sehr gut. Also betrachten wir sie als Hunde, ja?«
    »Danke, das werden wir tun. Um fortzufahren: Diese grobschlächtigen Weibchen fallen nun klagend und kreischend über ihren Gefährten her, dessen inneres Gleichgewicht dadurch nachhaltig gestört wird.«
    »Verweigern sie ihm etwa auch die Befriedigung seiner wilden Gelüste, die doch für seine geistige und körperliche Gesundheit so wichtig sind?«
    »Davon müssen wir wohl ausgehen.«
    »Der arme Kerl. Ich empfinde Mitgefühl für deinen Höhlenmenschen, Nq'ula.«
    »Das hatte ich gehofft, Bey von Addeh, denn siehe: Das elende Geschöpf wird uns nun zum Höhepunkt und damit zum Anlass unserer Unterhaltung führen.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich sehe es in seinen Augen.«
    »Nun gut, auch wenn er sich in einer höchst schwierigen Lage befindet.«
    »In der Tat, Prinz der Menschen, ist es sogar gerade das Ausmaß seiner Not, das seinen schwach entwickelten kognitiven Apparat dazu veranlasst, die Grenzen des Gewöhnlichen zu überschreiten und eine wichtige Wahrheit zu erkennen. Seine Weiber verlangen warmes, trockenes Wetter, aber es ist kalt und nass. Außerdem bringen sie ihren Wünsch zum Ausdruck, vor den vielen wilden Tieren beschützt zu werden, die in der Nacht jagen, und auch vor anderen Rudeln, die in der Nähe herumstreifen. Er kann sie jedoch immer nur aus einer Richtung schützen, während er den anderen aufgrund seiner Anatomie den Rücken zuwenden muss. Aus diesen unstillbaren Bedürfnissen abstrahiert er den Gedanken eines Unterschlupfs.«
    »Er abstrahiert?«
    »Gewiss, Hoheit.«
    »Das kann er?«
    »Er tut es. Zum ersten Mal in der Geschichte, Hoheit, erblickt ein menschliches Wesen eine geistige Landschaft von Begriffen oder die Noosphäre. Er hat vom Konkreten zum Allgemeinen abstrahiert, was ihn in die Lage versetzt zu erkennen, dass er nicht nur eine physische Umgebung bewohnt, mit der er vertraut ist, sondern auch ein Universum von geistigen Objekten, und dass seine Handlungen von seiner Einschätzung der Dinge bestimmt werden.«
    »Was tut er nun?«
    »Er geht geradewegs zur Klippe, die unter ihnen liegt und wo sich eine von einem großen Tier bewohnte Höhle befindet. Diesem Mieter verabreicht er eine sagenhafte Abreibung, Hoheit. So viel zu diesem Tier … wollen wir einfach sagen, es sei ein hypothetischer Bär?«
    »Sehr gern.«
    »Der Bär segnet auf der Stelle das Zeitliche. Unser Held nimmt die Höhle für sein Rudel in Besitz, und nun haben sie einen Schutz, reifiziert aus drei Felswänden und einer Decke. Außerdem dauert seine Vision lange genug an, um sich seinen Weibern entsprechend mitzuteilen. Sie begreifen es sofort, denken über die Noosphäre nach und fragen sich, welche anderen Güter und Dienste sie fortan von ihm verlangen werden.«
    »Diese Noosphäre ist gewissermaßen ein großes Warenhaus voller Ideen.«
    »Die womöglich etwas mehr Anstrengung erfordern als bloßes Einkaufen …«
    »Eine Annahme, die sogleich verrät, wie selten du selbst einkaufst, Nq'ula.«
    »… aber es ist im Grunde dennoch eine zutreffende Beschreibung.«
    »Hm. Du meine Güte. Ich kann nicht erkennen, dass sich seine Situation deutlich verbessert hätte.«
    »Sozialer und physischer Druck sind stets der Ansporn für Neuerungen, Hoheit. Wir sollten unser Mitgefühl nicht auf dieses Individuum verschwenden, nur weil

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