Die gelöschte Welt
ich bin nicht die Frau, die euch überrollen wird. Ich überbringe nur ihre Botschaft. Ihr werdet sicher irgendwo leben können, und alles wird gut. Besser als zuvor sogar, denn wir arbeiten an einer guten Sache.«
»Oh«, macht die Frau hinter dem Gitter. Ihre Stimme klingt auf einmal seltsam und schwach, was aber für jemanden, der gerettet wird, ganz normal ist und uns alle erleichtert. Doch es klingt auch verloren, und das passt nicht dazu. »Na schön. Du kannst uns also versprechen, dass ihr uns nichts tun werdet?«
»Das verspreche ich«, sage ich. Als ihr das nicht ausreicht, sage ich es noch einmal, langsam und laut, damit alle es hören können. Sie seufzt.
»Dann komm rein.«
Sie öffnet die Tür.
Wir betreten das Dorf, und ich bemerke, dass etwas – alles – viel eher falsch als richtig ist. Dina ist klein und agil, schätzungsweise zwischen dreißig und sechzig Jahre alt. Sie hat ihr teils ergrautes Haar wie ein Hippie zurückgebunden und steht im Kreise von Männern und Frauen in allen Größen und Formen, die mit allen möglichen Sachen bekleidet sind, die sie gefunden und zusammengestückelt haben. An einem Zaun lehnt ein Mann, so groß wie ein Gorilla. Als Kleidung dient ihm ein Bärenfell, und er hat einen mächtigen Bart. Seine Augen sind scharf und gefährlich, er starrt mich die ganze Zeit über an, bis ich hinter einer Ecke verschwinde. Ohne ein weiteres Wort dreht sich Dina um und führt uns unter den wachsamen Augen der Einwohner, die auf den Dächern stehen, durch die schmalen Straßen bis zum Hauptplatz. Dort wird offensichtlich, was falsch ist. Gonzo starrt, Samuel P. hebt die Hände und lässt seine Pistole, wo sie ist. Sally Culpepper tritt einen Schritt näher zu Jim hin, der überhaupt nichts macht, sondern nur herumsteht und abwartet, was sich ergibt.
»Du hast es versprochen«, erinnert mich die Frau. Ja, das habe ich.
Tobemory Trent sieht sich aufmerksam um, setzt den linken Fuß vor und geht in einem kleinen Kreis herum. Ein Schritt, zwei, drei, vier. Dann ist er wieder dort, wo er begonnen hat. Sein Blick erfasst die Männer und Frauen, die uns umringen, auch die Kinder, und dann wandert er weiter zu den anderen, die sich in Hauseingänge drücken und um Ecken spähen. Eigenartige, gehetzte Augen und seltsame Hände, viele andere Kleinigkeiten wie Schuppen und Pelz – dies sind die Traumleute. Falsche Menschen. Leute, die aus den Träumen der echten Menschen entstanden sind. Reifizierte Menschen. Das sind die Neuen.
Oh verdammt.
»Wie viele seid ihr?«, frage ich sie schließlich.
»Eintausendundacht«, sagt sie.
»Und wie viele von denen sind …« Ich breche jedoch ab und starre Dina an. Sie streicht sich die Haare von den Ohren, die wie bei einem Elfen spitz zulaufen. »Wie viele von euch sind neu?«
»Alle«, sagt sie.
Oh verdammt, verdammt.
Zaher Bey knallt die flache Hand auf den Tisch. So zornig habe ich ihn noch nie erlebt. Eigentlich habe ich ihn überhaupt noch nie wütend erlebt. Sofern ich überhaupt darüber nachgedacht habe, nahm ich an, sein Zorn müsse kühl und gemessen sein, vielleicht mit Ironie und Sarkasmus unterlegt. Intelligent, beißend und schrecklich wirkungsvoll. Nichts davon trifft aber zu. Seine Hand mit den runden Fingern und den rosafarbenen Nägeln fällt wieder auf den Tisch. Sehr nachdrücklich. Die Kaffeetassen tanzen ein wenig, und der Laut, der beim Aufprall entsteht, ist eher ein lauter Knall als das dumpfe Pochen, mit dem manche Menschen ihre Worte unterstreichen. Es hat auch nichts mit dem Klopfen zu tun, mit dem manche Redner ihr Publikum zur Ordnung rufen.
PATSCH! PATSCH! PATSCH! Und wieder klimpern die Kaffeetassen.
Das ist kein Laut, mit dem man sich an einem Streitgespräch beteiligt. Es ist die reine Wut. So etwas passiert, wenn man jemanden wirklich aus der Fassung bringt.
Hellen Fust rief den Beirat zusammen, gleich nachdem sie meinen Bericht gehört hatte. Sie sitzt mit Ricardo van Meents in einem nagelneuen Managerkonferenzzimmer am Kopfende des Tisches. Es ist ein Ort, an dem es keinen Platz für Spielereien gibt. Hier fühlt man sich sehr professionell, sehr weise und sehr realistisch. In diesem Raum nörgelt man nicht über Notwendigkeiten herum. An den Wänden hängen hässliche Drucke, und der Kaffee kommt aus einer Thermoskanne. Allerdings ist es keine normale tragbare Thermoskanne mit glatten Außenwänden, sondern sie ist einer echten Kaffeekanne nachgebildet. Als ich mich bedienen wollte, verbrühte
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