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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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warte, während K (die Skeptikerin mit den gebatikten Sachen, nicht der dicke Luzifer) Lebensmittel zusammensucht, die noch nicht misshandelt wurden. Ich hefte den Blick fest auf einen Weg der schmerzlosen Leere, solange dies dauern mag, denn auch wenn ich mich körperlich erhole, bleibt ein dunkler Fleck in meinem Geist und meinem Herzen, der noch etwas Zeit braucht, ehe er untersucht, erforscht und geprüft werden kann und ehe es ihm erlaubt ist, eine gleichartige, aber gegensätzliche Reaktion hervorzurufen. Ich spüre dort etwas, das mir fremd ist. Etwas Brodelndes und Hartes. Und während ich diesem Etwas vorsichtig den Rücken kehre und es in seinem gesicherten dunklen Sauerstoffzelt lasse, scheint mir, es könnte Wut sein.
     
    Ich frühstücke und humple umher. Einige Tage vergehen, in denen ich Fragen weder stelle noch beantworte. Dabei bin ich nicht aggressiv, sondern bleibe vage und gebe jedem, der mich aushorchen will, das Gefühl, er hätte etwas erfahren. Und beim nächsten Mal würde ich mich gewiss vollends öffnen und ihnen alles erzählen.
    Dabei lasse ich niemanden alles wissen, am wenigsten mich selbst.
    So esse ich, drücke mich, wandere umher und lausche dem Geplauder, schlafe in Ks Airstream-Bus und lauschte seinem tiefen, fast dröhnenden Atem, wenn ich eine Weile wach liege, weil meine Brust schmerzt. Tagsüber sitze ich neben ihm auf dem Beifahrersitz oder übernehme sogar das Steuer. Die Räder fressen die Straße, und ich lausche den Reifen. K stellt keine Fragen. Manchmal taucht die skeptische K auf und will etwas wissen, was beinahe ebenso gemütlich ist, denn ich habe kaum mit meinen Ausflüchten begonnen, da wechselt sie schon das Thema und bietet mir einen Ausweg. In meinem Kopf wächst ein Irrgarten, den ich hege und pflege, bis das Ungeheuer in der Mitte verblasst. Das ist gut. Es funktioniert prächtig. Bis wir Rheingold erreichen und alle Mauern auf einen Schlag einstürzen.
     
    Wir fahren nach Rheingold, um uns mit ein paar anderen Leuten zu treffen, die zu Ks lockerer Karawane gehören. Leute, sagt K, die ich sofort ins Herz schließen werde. Rheingold wird einen Zirkus bekommen, und wir werden uns alle zusammentun und danach gemeinsam reisen und einfach irgendwie leben, was, wie ich glaube, K und seine Freunde ja sowieso schon tun.
    Rheingold liegt eigentlich nicht direkt an der Grenze, aber an schlechten Tagen, wenn der Wind kräftig aus Nordwesten weht und über dem Lake Barbarella der Luftdruck fällt, gerät der Ort unter Einfluss des Grenzlandes und wird förmlich verschlungen. Dann gehen alle in den Keller und warten, bis sie wieder hervorkommen und sich umsehen können, was dort sprießt. Rheingold ist eine Art Hurrikangebiet voller Monster.
    Wie es für Leute typisch ist, die ständig am Rande der Katastrophe leben, geben sich die Damen sehr korrekt und ordnungsliebend und reagieren auf Überraschungen oder flegelhaftes Benehmen nicht eben erbaut. Ihre Aufgabe (selbst gewählt, aber darum nicht weniger legitim) besteht darin, dafür zu sorgen, dass Rheingold nicht untergeht, sich selbst treu bleibt und der nächsten Generation eine Heimat bietet. Sie sind die Wälle von Rheingold. Wie Ma Lubitsch stehen auch sie als Bollwerk gegen die kapriziöse Welt, sie besitzen große Vorräte an Nichtigkeiten und Gemeinplätzen und beten in der Kirche der regelmäßigen Mahlzeiten.
    Die Männer dagegen sind mürrisch, laut und bombastisch. Ihre Aufgabe (selbst gewählt, aber darum nicht weniger wichtig) besteht darin, einen sicheren Raum zu erschaffen, damit ihre Mütter, Töchter, Frauen und Schwestern die Stadt beleben können. Sie tun dies mit energischem Zupacken, starkem Rücken und fester Überzeugung – und unter einer Menge Geschrei. Sie bauen und unterhalten die Stadt, gelegentlich reißen sie auch etwas ab und errichten es von Neuem. Sie übernehmen die Männerarbeit, gehen auf die Jagd oder züchten Vieh, bestellen den Boden und bewachen die Tiere. Und sie befestigen Rheingold und bewachen es, falls irgendein lächerlicher, gefährlicher oder wahnsinniger Feind es angreift.
    Sicher, es gibt auch breitschultrige, zänkische Frauen, die mit den Jungs zusammen die Hacke schwingen, und schlanke, spirituelle Männer, die sie zu Hause sehnsüchtig erwarten. Oder auch Machotypen mit Holzfällerschnurrbärten, die sich an der Gesellschaft von Männern erfreuen und die erschreckenden Abgründe der weiblichen Anatomie scheuen. Es gibt Jungs, die Jungen mögen, und Mädchen, die

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