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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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ich dies denke, setzt mir jemand einen Katheter. Ein Eingriff, der mit großer Zuverlässigkeit die Aufmerksamkeit des Patienten erregt. So endet meine Reise durch den unendlichen Kosmos der Seele damit, dass ich zusammenzucke und »autsch« sage. Als ich die Augen wieder öffne, habe ich Vorhölle und Pandämonium und vielleicht auch einen Blick in den Himmel verpasst, der mich eigentlich bis in alle Ewigkeit hätte quälen sollen, und bin endgültig in der Hölle.
    Die Hölle ist kleiner als erwartet. Eigentlich ist sie nur ein langes, schmales Motelzimmer. Das höllische Gefängnis des Luzifer Morgenstern ist mit einer billigen Textiltapete ausgeschlagen. Es gibt auch ein Bett, keineswegs ist dies ein Operationstisch oder das Gerät eines Folterknechts. Ich habe einen Tropf im Arm und einen anderen Anschluss, Sie wissen schon, an einem intimeren Ort. Wenn es einen Körperteil gibt, der mir nicht wehtut, dann verhält er sich äußerst unauffällig. Die einzigen wirklich höllischen Eindrücke sind das seltsame, Übelkeit erregende Gefühl einer Bewegung und irgendwelche leise zischenden und keuchenden Stimmen, vielleicht ist auch ein großer Fluss oder ein schlecht eingestelltes Radio in der Nähe. Jedenfalls rauscht es unablässig.
    Der Teufel – wer sonst würde einem Geist einen Katheter setzen – ist anscheinend nicht mehr so gut in Form. Sein Bauch ist prall gerundet und ragt wie ein einsames Brustimplantat über der Gürtellinie eines grünen und purpurnen Sarongs hervor. Ich kann sein Dämonengesicht nicht genau erkennen.
    »Hi«, sagt der Teufel. »Ich dachte schon, du wärst hinüber.« Dann lächelt er und bleckt fröhlich die schiefen Zähne. Meine spirituelle Gewissheit macht sich auf und davon. Noch nie habe ich gehört, dass Satan die Gestalt eines onkelhaften Hippies angenommen hätte. Zweifellos könnte er das tun, aber es käme mir so nutzlos vor. Das ist keine Gestalt, in der man Unschuldige verführen oder die Opfer ängstigen kann. Es ist nicht einmal besonders beruhigend. Einfach nur ein Kerl, der ein paar Jahre im Fitnessstudio und eine Salatdiät brauchen könnte, bis er seine Zehenspitzen wieder ohne Spiegel erkennen kann.
    »Ich bin K«, sagt er. »Freut mich, dich kennenzulernen. Sag jetzt noch nichts, du musst dich erst noch erholen. Morgen werden wir sehen, ob du feste Nahrung zu dir nehmen kannst.« Die letzten Worte höre ich wie aus großer Entfernung, denn da ich jetzt wieder wach, bei Bewusstsein und möglicherweise sogar lebendig bin, verspüre ich ein überwältigendes Schlafbedürfnis.
    Ich schlafe und träume angenehme Träume, wie ich als Kind in Cricklewood Cove lebte, wo es Ma Lubitschs Gulasch und die Bienen des alten Lubitsch gab. Ich träume von Elisabeth, Jarndice und Aline. Von Sex träume ich nicht, was bedeutet, dass der Traum von Aline recht kurz ausfällt. Ich träume von gebildeten Nymphen, die Poker spielen, über Politik reden und in einer grünen Stadt voller biolumineszenter Lichter Verbrecher jagen, wo gezähmte Bisons die Züge ziehen (ich bin der Bürgermeister, kann die Leute aber trotz meiner Macht nicht davon abhalten, rote Hüte zu tragen, was die Bisons in Rage versetzt und jeden Tag zu Unfällen führt). Ich träume, ich wäre ein Krebs, was weniger anstrengend ist, als es klingt. Ich träume, ich wäre eine Spielkarte, aber niemand sagt mir welche. Und ich kann den Kopf nicht herumdrehen, um es zu erkennen.
    Ich träume von jemandem, der Fleisch verbrennt, und dann wache ich auf und entdecke den Teufel – K –, der fluchend in einer fettigen Rauchwolke steht und hinten im Raum auf einem tragbaren Ofen Speck brät. Glücklicherweise bin ich nicht mehr über einen dünnen Schlauch, der aus meinen Genitalien heraushängt, mit einem Beutel verbunden, sonst wäre es mir peinlich gewesen. Sogar der Tropf ist verschwunden. K sieht sich über die Schulter um und winkt. Mir ist nicht gleich klar, ob er es tut, weil er weiß, dass ich wach bin, oder weil er mich wegen des kokelnden Schweins nicht richtig sehen kann. Ich habe Schuldgefühle, weil ich Zeuge des Todesritus für ein Schwein werde, da die Schweine des Wirts Flynn vor gar nicht so langer Zeit, als wir Strom brauchten, hervorragende Arbeit geleistet haben.
    K winkt noch einmal, und jetzt ist klar, dass er mich meint. Neben ihm steht ein Mädchen in Batiksachen und zieht eine Miene wie jemand, der schon vorher gesagt hat, die Pfanne sei zu heiß. Sie hat dunkles, kurzes Haar, das an einer Seite

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