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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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bekommen. Das tat er also nicht.
    Vielmehr reichte K – oder vielmehr Joel Athens Lantern, denn das war damals Ks richtiger Name – ein Gesuch ein, etwas Zeit für sich persönlich zu bekommen und dann an die Arbeit zurückkehren zu dürfen. Denn dies war die Art und Weise, wie Profis sich verhielten, und wenn er kein Vater oder Gatte mehr war, dann konnte er sich wenigstens bemühen, ein richtiger Profi zu sein. Er hatte sich all diese Verhaltensmuster eingeprägt. Jeder musste mit seiner eigenen kleinen Auswahl von Prioritäten und Verpflichtungen leben. Aber irgendwie hatte er sein ganzes übriges Leben verdrängt, und jetzt hatte er nichts anderes mehr. Deshalb definierte er sich über die Arbeit. Etwas später fand er diese Entscheidung jedoch so entsetzlich – er fand sie kalt und unmenschlich und nicht mit dem vereinbar, was ein echter Dad getan hätte –, dass er sein Büro verließ und in den ersten Bus stieg, der ihn mitnehmen wollte. Es war dieser Bus hier, und so zog er in die Welt hinaus und schaute nie zurück. Von da an nannte er sich K und scharte nach und nach einige Leute um sich, die sich genauso nannten, damit sie immer wieder innehalten und über die Menschen, die persönlichen Beziehungen und den Kontext nachdenken mussten, um zu verstehen, von wem eigentlich die Rede war. Es ist etwas verwirrend, und deshalb müssen sie ihre Köpfe gebrauchen und alles genau überprüfen. Sie lassen sich nicht durch Etiketten täuschen. Anders ausgedrückt, hat K diesen Namen angenommen, damit er nie wieder mechanisch reagiert und immer, wenn er mit jemandem spricht, seine Menschlichkeit berücksichtigen muss.«
    Ike Thermite lehnt sich zurück und wedelt mit der Hand, um die Spannung abzubauen, als klebte sie wie ein Bonbonpapier an seinem Zeigefinger.
    »Ich will dir damit sagen«, fährt er fort, »dass du dich da in der Gesellschaft von Leuten befindest, die wissen, was es heißt, einen schlechten Tag zu haben. Wir werden dir helfen, weil wir uns dazu entschieden haben.«
    Als er das sagt, komme ich mir sehr klein vor. »Danke.«
    Wir fahren weiter. Die Straße fühlt sich jetzt offen an, nicht blockiert, und das Pantomimenmobil zieht dank der gereinigten Zündkerzen gut durch. Hinter uns erscheint der Wagen von Dr. Andromas im Spiegel, was Ike Thermite im Gegensatz zu seinen Pantomimenbrüdern durchaus angenehm findet.
    »Wer ist er?«, frage ich Ike, weil K es mir nicht sagen wollte.
    »Andromas?«
    »Ja. Und warum hat er mir geholfen? Warum haben alle anderen Angst vor ihm?«
    Ike Thermite denkt nach.
    »Du hast falsche Vorstellungen von Andromas«, sagt er schließlich. So sehr ich es auch versuche, mehr kann ich nicht aus ihm herausbekommen.
     
    Früher pflegte James V. Hepsobah (Sergeant) in den Ruhezeiten zwischen den Missionen mittels einer scharfen Klinge das Haar von seinem Kopf zu entfernen. Die Nutzlosigkeit eines wehenden Schopfs in der Kampfzone hatte er schnell erkannt, zumal sein persönlicher Mentor und vorgesetzter Offizier Gumbo Bill Faziel mit dem Kopf voran in eine Flugzeugturbine gesaugt worden war, als er nach einem missglückten politischen Mordanschlag hatte abspringen wollen. Gumbo Bill hatte sich daraufhin in feinem Ocker über vierzehn Dörfer und Städte verteilt, während das Flugzeug wie ein Sandsack vom Himmel gefallen war. Gumbo Bill war vielleicht nicht unbedingt der größte militärische Geheimagent des späten zwanzigsten Jahrhunderts gewesen, aber niemand hätte ihm wegen seines Haarschnitts einen Vorwurf gemacht, bis dessen Nachteile schließlich schrecklich offenkundig geworden waren.
    Da sein Leben recht eigentümlich verlief – nächtliche Bootsfahrten, Lager in den Tropen, Einsätze im freien Fall –, musste Jim seine Enthaarung oft an Orten durchführen, die fürs Friseurgeschäft eher unzulänglich ausgestattet waren. Daher entwickelte er eine unveränderliche Technik für diese Aufgabe: Zuerst schmierte er seine Haare mit einem Pflanzenextrakt ein, der zwar viele nährende und allergologisch unbedenkliche Bestandteile der teuren kommerziellen Produkte besaß, jedoch keineswegs nach Sandelholz oder Gewürzen roch, sondern eher nach Mulch und nassem Pelz, damit er Jims Standort nicht verriet, wenn sich während der Operation plötzlich mal der Wind drehte. Zweitens prüfte er die Schärfe seines gekrümmten Stiefelmessers und strich gelegentlich mit einem Wetzstein über die Klinge, bis sie rasiermesserscharf war, während der Balsam seinen Skalp

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