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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Verhalten zu beschreiben. Man könnte es als »zielstrebig« bezeichnen, womöglich aber auch als »völlig wahnsinnig«. »Zielstrebig« beschreibt es aber eigentlich ganz gut, denn um sich selbst so etwas anzutun, muss man alles andere verleugnen, das sonst als menschlich gilt. Es bedeutet, ein Ding zu werden, das nur einem einzigen Zweck dient, während die übrigen Menschen eher breit gefächerte Interessen haben. So weit wollte Ronnie nicht gehen, zumal er nicht vollkommen wahnsinnig war.
    Humbert Pistill hat offenbar eine Variante der Eisenhautmeditation trainiert und will mir seine Fähigkeiten vorführen.
    Noch ist es aber nicht so weit. Er nervt mich mit seiner anderen Hand, die ich einigermaßen verfolgen kann. Aber jetzt legt er auch mit der Linken los. Natürlich ist er Linkshänder. Das Objekt (eine Hand kann ich es nicht nennen, weil es zu fremdartig aussieht) nähert sich meinem Kopf. Ich ducke mich, der Hieb geht an mir vorbei, und da sich die Gelegenheit gerade ergibt, schlage ich zurück. Die Wirkung ist sogar noch schwächer als das, was ich erhofft hatte, und dabei hatte ich nur mit einer kleinen Verschnaufpause gerechnet. Es tut mir sogar noch mehr weh als ihm. Wie Ronnie wurde er so oft geschlagen, dass er kaum noch Kapillaren hat, die platzen könnten.
    Ich spüre den Luftzug, als die Monsterfaust an meinem Gesicht vorbeizischt. Dann kommt sie zurück, es sieht fast wie eine Umarmung oder wie eine zupackende Hummerschere aus. Sie zerzaust mir die Haare und trifft mit einem dumpfen Geräusch auf meinen Schädel. Ich sehe Sterne und höre Vogelzwitschern. Dann klopfe ich ihm aufs Auge, was er nicht mag. Augäpfel kann man mit der Eisenhautmeditation nicht abhärten, also schießen ihm die Tränen in die Augen. Warum tut er das? Wer ist er, dass er so etwas tun kann? Und – zum Teufel auch, ich habe ihm doch praktisch schon gesagt, wer ich bin, falls er von Gonzo weiß. Fast alle versuchen, mich umzubringen, sobald sie es erfahren. Ein feindlicher Plan setzt einen feindlichen Planer voraus, Arschloch! Ist dir das noch nicht in den Sinn gekommen? Humbert Pistill rückt auf meiner Liste der Verdächtigen rasch nach oben. Wenn ich ihn nur davon abhalten könnte, mich zu ermorden …
    Wir kämpfen.
    Es ist ein ungleicher Kampf, weil ich nicht mehr tun kann, als am Leben zu bleiben und vielleicht zur Party zurückzukehren, wo er möglicherweise darauf verzichtet, seine gegenwärtige Argumentationsweise fortzusetzen. Er dagegen gibt sich große Mühe, meinen Schädel genau so aufzureißen wie ein Grizzly einen Bienenstock. Irgendwann, den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht mehr, trifft er mich mit seiner Eisenhauthand. Mir kommt es so vor, als hätte der Kampf bis dahin bereits eine Stunde gedauert, aber es waren wohl höchstens drei Minuten. Er trifft mich nicht mit voller Kraft und auch nicht am Kopf. Ich ziehe mir auch keine Knochenbrüche zu, spüre aber, wie sich die Rippen nach innen verbiegen und wieder herausfedern. Meine Lungen tun weh, ich kann nicht mehr atmen. Ein Krampf? Eine Verletzung? Mach weiter oder stirb. Ich ziehe mich keuchend zurück und habe keine Ahnung, wie ich ihn besiegen könnte. Ich bin zwar schneller, aber er bleibt unermüdlich. Ich kann seine Arme nicht festhalten, und ich darf keinesfalls in den Nahkampf gehen, da mich schon ein Streifschlag mit dieser Hand ausschalten könnte. Er ist eine Festung. Meister Wu hätte uns die Geisterhand lehren sollen. Wenn Pistill die Eisenhaut einsetzt, dann sollte ich doch auch über magische Kräfte verfugen. Wo sind die Laserstrahlen aus meinen Augen? Konzentrier dich.
    Ich schlage mit der Faust zu, er blockt ab (eine Bewegung mit dem Unterarm wie eine Sichel, als könnte er mir einfach die Hand abschlagen, was er vielleicht auch tatsächlich kann), ich nutze den Schwung und trete in seine Reichweite hinein. Mein Ellenbogen trifft sein Gesicht. Ich bewege mich sofort weiter und berühre ihn auch mit Hüfte und Schulter. Mir kommt es so vor, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Mit einem Tritt versuche ich, sein Bein zu lähmen. Er kommt mir sogar entgegen und kann beinahe meinen Fuß packen. Um es mir heimzuzahlen, stößt er das Bein wie einen Motorkolben gegen meine Schulter und setzt es wieder auf den Boden. Ich weiche abermals aus und unterdrücke den Drang, meinen Arm zu reiben. Er hat seine Position nicht verändert, sondern verfolgt mich mit Blicken und baut die Spannung wie eine Stahlfeder in sich auf. Oder wie eine

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