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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Die Ninjas sind die Nesselzellen, die ausschwärmen und die Feinde vernichten oder Beute töten. Unter ihnen ist Humbert Pistill der Größte und Schlimmste. Er ist mit der Maschine, mit dem Ungeheuer völlig eins geworden. Ihm ist das ganze Ausmaß bewusst, aber entsetzt ist er nicht. Er trägt es ständig in seinem Geist mit sich herum. Man kann nicht mehr erkennen, ob er überhaupt noch unabhängig von dem Biest existiert.
    Ich fühle mich, als hätte ich einen Stein umgedreht und erwartet, Insekten darunter zu finden, nur um festzustellen, dass der ganze Stein aus einer riesigen Masse von Käfern bestand.
     
    In Actionfilmen kann der Held die Gefahr mit ein paar markigen Sätzen beschreiben. Und alle (abgesehen von Nebendarstellern, die später gefressen werden oder sich entschuldigen müssen) akzeptieren das, was er sagt, sofort als Realität und begreifen dessen Bedeutung. Affenhafte Reflexe toben in mir: fliehen, meinen Vorteil suchen, kämpfen. Auf kleine, weiche Dinge mit bloßen Händen einschlagen. Wenn man etwas Großes und Starkes töten will, braucht man einen Stock mit einem Stein am Ende oder ein scharfes Stück Knochen. Ich will es unbedingt töten, wie es mich töten will – oder den Bey, die gefundenen Tausend oder sonst jemanden, der es als das erkennt, was es ist. Alles muss auf eine Weise funktionieren, die mit Jorgmund kompatibel ist. Alles, was nicht funktioniert, darf dagegen nicht länger existieren. Evolution ist nicht unbestimmt oder freundlich: DNS verhandelt nicht. So ist dieses Ding auch: viel zu einfach, viel zu jung, viel zu simpel, um irgendeine Abweichung zuzulassen.
    Elisabeth Soames streitet nicht. Sie schätzt mich mit raschen Blicken ein, hört die Worte, die ich nicht ausspreche, erkennt die Ideen, die hinter ihnen brodeln. Sie wirft unsere Habseligkeiten in einen Sack, schaltet das Licht im Taubenschlag aus und zieht den Stecker des Heizofens ab. Dann führt sie mich rasch hinaus. Sie blickt nicht zu dem Schuppen zurück, der zwanzig Monate oder länger ihr Zuhause war. Sie gestattet sich nicht, ihn zu vermissen. Ihre Hand fasst die meine ein wenig fester, als wir das Dach mit dem gemütlichen, windschiefen Aufbau verlassen.
     
    Wir fahren auf der Hauptstraße am Rohr entlang. Die Magie des Andromas haben wir in Haviland stehen lassen, unter Planen versteckt. Der Wagen fällt sofort auf, während Annabelle einfach nur irgendein anonymer großer, quietschender Truck ist. Wenn wir Glück haben, halten sie mich sogar für tot. Meine Leiche werden sie nicht finden, aber es gibt viele Gründe, warum so etwas geschehen kann. Vielleicht haben mich die Schakale oder hungrige Straßenkinder verspeist. Vielleicht bin ich auch fortgerollt oder halb tot zur Straße gekrochen, wo mich mehrere Busse plattgewalzt haben. Vielleicht – darauf bin ich besonders stolz – wurde mein Körper in einen Flutkanal geschwemmt und vergiftet jetzt das Wasser der Stadt.
    »Nein«, sagt Elisabeth, als ich in dieser Weise weitermache, »jetzt reicht es. Es ist mehr als genug.« Mehrere Stunden lang habe ich mich diesen brillanten Gedanken hingegeben, und sie ist bei einigen zusammengezuckt und musste würgen.
    Humbert Pistills Akte enthielt auch eine Karte. Ganz in der Nähe von Haviland zweigt ein unauffälliger, gewöhnlich aussehender Weg ab, an dessen Ende man eine Farm vermuten könnte. Folgt man ihm, wird aus dem Weg eine größere Zufahrt und dann eine breite, leicht zu befahrende Straße. Die Schilder behaupten, hier habe sich eine Fabrik angesiedelt, die synthetische Milch herstellt. Dies ist Jorgmunds Kern, wo das FOX produziert wird (ich habe Elisabeth noch nicht erzählt, was ich darüber weiß; Humbert Pistills dunkelstes Geheimnis steckte in den brennenden Särgen in der Station 9) und wo das Rohr beginnt und endet. Der Kopf und der Schwanz der Schlange. Hier muss auch der Bey sein. Auch ich muss hierherkommen, wo alles ein Ende finden wird.
    Zunächst aber brauchen wir einen Ort, den wir kennen, um unsere Verbündeten zu treffen, falls wir überhaupt noch welche haben – und falls sie überhaupt kommen. Deshalb habe ich den Wirt Flynn auf seiner privaten Nummer angerufen (was ich bis dahin noch nie gewagt hatte, da ich immer fürchtete, ihn und Mrs Flynn beim Toben auf dem Pooltisch oder beim Turteln im Schlafzimmer zu stören) und in der Bar ohne Namen einen Raum gemietet.
    Die Wüste ist mehr oder weniger, wie sie immer war. Natürlich verändern sich auch Wüsten. Manchmal werden sie

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